CD-Rezension: We Are One
Blasmusik und Heavy Metal. Neue CD-Rezensionen schreibe ich, wie hier beschrieben, nur im Ausnahmefall – und diese Synthese ist ein Ausnahmefall. Dafür habe ich mich nicht nur durch das Album gehört, sondern durch viele andere Presseberichte geackert, die über das Album erschienen sind. Die wurden, so mein Gefühl, zum größten Teil aus „Rocker-Sicht“ geschrieben. Höchste Zeit also für eine Rezension aus Bläser-Sicht. Hier habt ihr aber zunächst eine kleine Auswahl der Heavy Metal Kritiken: metal.de, metal-hammer.de, stormbringer.at, rockmagazine.net, metalinside.de, bleeding4metal.de, laut.de.
Ihr seht: Das Musikkorps der Bundeswehr kommt durchweg gut weg und wird zum Teil hochgelobt, die Band hingegen polarisiert. Ich möchte euch nun aus Bläsersicht erzählen, warum „We Are One“ wirklich anders klingt als die „Rock meets Classic“ Alben von anderen Bands. Darüber hinaus habe ich über die Entstehungsgeschichte mit den Arrangeueren Guido Rennert und Alexander Reuber, dem Chef des Musikkorps der Bundeswehr, Oberstleutnant Christoph Scheibling sowie mit einem der Aufnahmeleiter, Tonmeister Thomas Schmidt, gesprochen. Das lest ihr unter diesem Link.
„We Are One“ aus Bläserperspektive
Zur Ausgangslage: Selbst höre ich neben klassischer und Bläsermusik aller Art sowie Jazz gerne Progressive Rock – allen voran die Band Muse. In die Welt des „richtigen“ Heavy-Metal war ich bislang selten eingetaucht und so mache ich mir zunächst Gedanken um Udo Dirkschneiders Stimme, die bei Fans ein Charakteristikum des deutschen Heavy Metal ist.
Die Stimme von Udo Dirkschneider
Auf einen eingefleischter Blasmusikfan wird sie beim ersten Mal hören befremdlich wirken. Kreischen wäre das falsche Wort. Kreissäge käme eher hin. Aber die Stimme hat einen großen Tonumfang. Als ich bei einem Stück einen tiefen Bariton höre, kapiere ich zunächst nicht, dass das Udo Dirkschneider ist – so sehr dominiert die hohe Udo-Lage. Die ist intensiv, diabolisch und manchmal angsteinflößend. Nicht gruselig, weil schlecht – sondern, weil sie einem den eiskalten Schauer den Rücken runterfließen lässt. Wie bei einem guten Horror-Film. Im Verlauf des Albums wird das immer spannender und so kann ich, wäre ich Heavy Metal-Fan, die Kritik von einigen Metal-Magazinen mitfühlen, wenn sie schreiben, ihnen sei zu wenig „Udo Dirkschneider“ auf dem Album. Ich verstehe sogar die Texte gut, obwohl mein Englisch etwas eingerostet ist und ich auf Grund meiner Instrumentalliebe sonst nicht sehr auf Texte höre.
Die Texte
Die Texte der 15 Songs machen auf die Probleme und Herausforderung der Erde aufmerksam. Sie richten sich zum Beispiel gegen Rechts (Pandemonium) oder machen auf die weltweite Flüchtlingslage aufmerksam (Here we go again). Sie sehen totalitäre Überwachung (We strike back) ebenso gefährlich wie Cyberkriminalität (Blackout). In „Natural Forces“ heben die Musiker den Finger gegen die Abholzung der Regenwälder und die Ausgrenzung indigener Völker. „Rebel Town“ verneigt sich vor den Bürgerinnen und Bürger Leipzigs, die mit ihrer friedlichen Revolution letztendlich die Wiedervereinigung erreichten. Auch die „Fridays for Future-Bewegung“ erhält mit „Children of the world“ ein Sprachrohr und der Kampf gegen weltweite Umweltverschmutzung wird unter anderem in „Mother Earth“ oder „Future is the reason why“ thematisiert.
Die Musik der Band U.D.O
Ich kann eine Heavy Metal-Band nicht beurteilen, dazu habe ich zu wenig Erfahrung. Was mich bei Rockbands immer fasziniert, sind Solo-Einlagen von Melodieinstrumenten, also die Lead-E-Gitarren (bei manchen Bands: Klavier). Hier fasziniert mich das virtuose E-Gitarrenspiel der beiden Gitarristen (ich weiß nicht, ob beide die Soli spielen oder immer nur einer) Andreji Smirnov und Fabian Dee Dammers. Ich glaube, Niccolo Paganini hat im 19. Jahrhundert so etwas bei den damaligen Menschen ausgelöst, was solche Gitarrensoli bei Heavy Metal-Fans bewirken.
Die Tracks von „We Are One“
1. Pandemonium:
Liebe Blasmusikfans, hier hört ihr Udo Dirkschneiders Stimme zum ersten Mal und auch das Orchester beginnt im Intro sehr hart. Bitte nicht vom Stuhl fallen und abschrecken lassen. Ihr werdet im Verlauf den besonderen Reiz dieser Stimme und dieser Musikart schätzen lernen. Macht es euch bequem – ihr müsst nicht gleich Headbangen – und lasst euch auf die spannende Reise der Stilverbindung ein. Ihr werdet merken: Es lohnt sich.
2. We Are One:
Beim titelgebenden Stück denkt man sich sofort, dass es bewusst ausgewählt sein muss – obwohl mir persönlich viele andere Tracks besser gefallen. Dieser Track ist massentauglich und spricht musikalisch alle an. Der Refrain geht ins Ohr, hat vielleicht sogar einen Ohrwurmcharakter und lässt sich leicht mitsummen. Er spiegelt alle Beteiligten wider: Udo, Band, Orchester und Chor. Von keinem zu viel, von keinem zu wenig.
3. Love and Sin:
Nach einem martialischen Orchesterintro, das mit der lieblichen Thin-Wistle eingeleitet wird, folgt einer der härteren Tracks, die mir von den harten Tracks am besten gefallen und sich mir Udos Stimme immer mehr erschließt. Bei diesem Track greifen Band und Orchester diffizil und virtuos ineinander.
4. Future is the Reason why:
Marschfans aufgepasst. Hier birgt das Album eine Überraschung extra für euch. Unbedingt anhören.
5. Children of the World:
Ein Werk der Stimm-Extreme. Lieblich und diabolisch. Neben Kinderchor holt Udo hier aus seiner Stimme das intensivste Potential heraus. Manch Metal-Magazin findet diese Gegenüberstellung „kitschig und peinlich“. Ich finde es reizvoll. Daneben hat der Arrangeur dem Fagott großen Raum geschaffen, das im weiteren Verlauf abgelöst wird von mächtigen Hornlinien. Hier erscheint ein Phänomen, das besonders auch in anderen Stücken wie „Love and Sin“ immer wieder kehrt und zeigt, dass an Udos Aussage „Blasorchester ist Heavy-Metal“ alles stimmt: Ein fast permanent liegender Basston, mehr Bassposaune als Tuba, der den E-Bass mehr als ersetzt, da viel mächtiger, viel tösender und dem Heavy-Metal viel gerecht werdender.
6. Blindfold (The last Defender):
Auf den Liveauftritt freue ich mich, auch wenn die Band hier nicht vorkommt. Manuela Markewitz singt eine Ballade zusammen mit dem Orchester. Sie kennt man von Guido Rennerts Komposition „70 Jahre Grundgesetz“. Mächtige Bläserakkorde sowie Pauke, große Trommel, Harfe und Klavier dominieren bei der Ballade auf Orchesterseite.
07. Blackout:
Ein kürzeres, dramatisches orchestrales Intermezzo, das von bombastisch bis ganz sanft geht. Danke für die Klaviereinlage. Die tut gut.
08. Mother Earth:
Hier langweile ich mich, nicke mit dem Kopf stoisch den Rhythmus mit und nehme den Song zur Kenntnis. Klar, wird dem Orchester zwischendurch ein Soloplatz eingeräumt, aber hier fehlen mir die orchestralen Feinheiten und es gibt zu wenig Überraschungen, wie man es von anderen Tracks der CD gewohnt ist.
09. Rebel Town:
Aus meiner Sicht wieder ein typischer Heavy-Metal-Track. Ich höre sogar den Satz „Cold as Steel“ heraus, der doch typisch nach Heavy Metal klingt. Das Intro allerdings beginnt mit einem sanften, chilligen Marimbaphon.
10. Natural Forces:
Mein Lieblingsstück der CD. Wahnsinnskonzertstück für sinfonisches Blasorchester. Gruselig, düster, viel Percussion. Als Blasorchestermusiker- und fan kann man sein Gefallen am besten ausdrücken, wenn man sagt: Will ich unbedingt auch spielen. Es werden sich aber wenig Amateurorchester finden, die das auf Grund des Zusammenspiels und der Besetzung spielen werden können.
11. Neon Diamond:
Dieses Stück fällt bei den Heavy-Metalern zum größten Teil durch – wegen des Saxophons. Das mögen die offenbar nicht. Was soll ich als Holzbläser sagen, die den Oboenpart im Hintergrund heraushört? Ich mag das Stück. Sehr sogar. Auch wenn ich erst nicht merke, dass es sich beim männlichen Gesangspart des Duetts (mit Manuela Markewitz) um Udo Dirkschneider handelt. Denn Udo kann auch sanft und zärtlich.
12. Beyond Gravity:
Eines der Werke, die das Musikkorps auch alleine bei seinen normalen Konzerten spielen will – vorausgesetzt ein guter Dudelsackspieler, der gemeinsam mit einer E-Gitarre ein „Doppelkonzert“ interpretieren kann, hat Zeit. Dann wird das live der Wahnsinn – auch ohne Band.
13. Here we go again:
Ein interessanter Track für uns Bläser, denn hier tritt der Heavy Metal in den Hintergrund und die Stile Funk, Big Band und sogar Rap bekommen einen Platz auf dem Album. Und die Arrangeure haben dem Bariton-Saxophon einen Platz freigeräumt. Eine spannende Synthese.
14.We strike back:
Das hört sich mir nach richtigem Heavy Metal an. Schnelles, hartes staccato – beim Autofahren wäre mir dieser Track zu wild, da würde ich aggressiv werden und andere Verkehrsteilnehmer anschreien. Das Ungewöhnliche daran: Beim Refrain spielt der hohe Holzsatz weiche Arabesken, die allerdings so arrangiert sind, dass es sich trotzdem wild anhört. Und erkenne ich bei den Trompeten ein bisschen Aaron Copland? Vielleicht täusche ich mich auch.
15. Beyond good and evil
Der Kreis schließt sich. Hauptthema ist das Thema des ersten Tracks „Pandemonium“ aber rein instrumental. Ich zähle es auch zu meinen Favoriten, wobei es sich ein wenig in die Länge zieht.
Mein Fazit
Wahrscheinlich kann ich das ganze Projekt gar nicht ganz objektiv und es nur für gut betrachten: Ich bin großer Fan von großem sinfonischen Blasorchester und ich bin ein großer Fan von Experimenten und kulturellem Wagemut. Denn Musik sowie jede andere Kulturform ist eine permanente Metamorphose. Daher sind solche Projekte richtig und wichtig – um nicht nur in seinem eigenen Saft zu schmoren. Dieser Apell richtet sich natürlich sowohl an die Blasmusik- als auch an die Heavy Metal-Seite.
Für die Verwirklichung eines solchen Projekts bringt ein Bundeswehrorchester wie das Musikkorps der Bundeswehr die besten Voraussetzungen mit: Es muss ein professionelles Blasorchester sein mit der ausreichend personellen Besetzung und einer gestandenen Organisationsstruktur im Hintergrund. Zudem „verfügt“ das Musikkorps der Bundeswehr noch über ein orchestereigenes kongeniales Arrangeur-Duo in Person von Guido Rennert und Alexander Reuber, das hier nicht nur den „Metal“-Blasinstrumenten sondern auch den „soften“ Instrumenten großen Raum gegeben hat.
Es ist schön zu hören, wie das Orchester in keiner Weise als Begleitphänomen und Unterstützung fungiert, sondern wie das Element „Rockband“ hinzugefügt wird. Vielleicht ähnlich revolutionär wie im 19. Jahrhundert als beim Sinfonieorchester der Bläserapparat immer mehr vergrößert wurde und dadurch große Sinfonien erst möglich wurden. Und, um hier Traditionalisten gleich die Angst vorweg zu nehmen, deswegen Barockorchester keinesfalls verschwanden. Das Album repräsentiert also kein „Rock meets Blasorchester“ sondern einen neuen Stil. Dafür muss jetzt nur noch ein neuer Name gefunden werden.
Hier lest ihr die Entstehungsgeschichte im Gespräch mit den Machern: www.vontutenundblasen.de/we-are-one/