Die Blasmusikforschung und die IGEB

IGEB: Internationale Gesellschaft zur Erforschung und Förderung der Blasmusik – das Netz der Blasmusikforschung

Blasmusikforschung: Ein Themenfeld, das beim Musizieren oft hinter den Notenständer fällt. Aber: In der Blasmusik gibt es viele Bereiche, in die man sich tiefer eingraben könnte. Bei Recherchen für die „Mucke“ und die „Clarino“ nutzte ich neben der journalistischen Recherche oft die wissenschaftliche.  Es zeigte sich:  In der Blasmusik gibt es jede Menge zu erforschen, denn häufig stieß ich an meine Grenzen. Fand ich Informationen, zeigte sich oft, dass ein journalistischer Artikel nicht ausreicht, sondern dass manche Themen mehr Zeit verdient hätten – nämlich Jahre und eine Doktorarbeit. Einige Publikationen (Promotionen) habe ich schon zu Hause und unter meiner Rubrik „Lesen“ möchte ich hin und wieder eine Arbeit und deren Fazit vorstellen, um euch die Ergebnisse näher zu bringen und vielleicht dein ein oder anderen „Aha“-Moment auslösen.

blasmusikforschung publikationen
Eine kleine Auswahl von gedruckten Blasmusikforschungspublikationen aus meinem Bücherregal. Foto: Christine Engel

Der Motor der Blasmusikforschung: Die IGEB

Zunächst geht es aber hier um die „Internationale Gesellschaft zur Erforschung und Förderung der Blasmusik“ – kurz IGEB. Forscher müssen vernetzt sein, sich austauschen und zusammen diskutieren. Dafür gründen sie netzwerkende Gesellschaften. In der Blasmusik ist das die IGEB. Ich habe mich mit ihrem Präsidenten Professor Damien Sagrillo und einem der Beiräte, Dr. Björn Jakobs (hier lest ihr über seine Doktorarbeit) über die IGEB und über die Blasmusikforschung unterhalten.

Geschichte der IGEB

1966 trafen sich am Bodensee zum ersten Mal Forschende zu einer Konferenz über Blasmusik. Professor Wolfgang Suppan, Autor des Standart-Werks „Das Blasmusik-Lexikon“, hatte dazu geladen. Acht Jahre später, 1974, gründete er gemeinsam mit Eugen Brixel die IGEB mit dem Ziel, die Blasmusikforschung international zu vernetzen. Verortet war die IGEB an der Universität Graz, wo seit 1990 die Pannonische Forschungsstelle bzw. das Internationale Center for Wind Music Research beheimatet ist. Wolfgang Suppan war bis zum Jahr 2000 Präsident, ihm folgte Bernhard Habla bis zu dessen Tod im Jahr 2016. Seit 2016 steht Damien Sagrillo von der Universität Luxemburg der Gesellschaft vor.

Wolfgang Suppan
Professor Wolfgang Suppan, der Gründer der IGEB. Foto: Archiv
Blasmusiklexikon
Wolfgang Suppans Blasmusiklexikon.

Was passiert auf einer IGEB-Konferenz

Alles zwei Jahre trifft sich die IGEB zu einer mehrtätigen Konferenz. 2020 fiel sie aus und wird jetzt, 2021, am 15. und 16. Juli online (hier geht es zu den Anmeldeinfos) nachgeholt. In diesen Konferenzen halten Forschende Vorträge über blasmusikalische Themen und nach dem Vortrag diskutiert die Runde zusammen. Im Nachgang kann der oder die Vortragende den Vortrag im Konferenzband veröffentlichen lassen. Nicht nur hauptberufliche Wissenschaftler bewerben sich für so einen Vortrag, sondern: „Jeder, der sich intensiv mit einem blasmusikalischen Thema befasst und der einen flüssigen Abstract einreicht. Der Schreiner oder der Master-Student,“ erklärt Damien Sagrillo. Bedeutet: Wer zum Beispiel in seinem Musikverein einen unbekannten Notensatz aus dem 19. Jahrhundert gefunden hat und diesen in seiner Freizeit näher erforscht und systematisch erfasst, kann darüber bei einer IGEB-Konferenz einen Vortrag halten. Voraussetzung: „Man muss der IGEB als Mitglied beitreten,“ sagt Sagrillo. Darüberhinaus müssen gängige wissenschaftliche Prinzipien wie die richtigen Zitierweisen und nachvollziehbarer Quellen genutzt werden.  

Blasmusikforschung Vortrag
Ein Referent während eines Vortrags bei der IGEB-Konferenz 2018. Foto: IGEB

Blasmusikforschung vernetzt

Die Konferenzen kann jeder besuchen, der Interesse hat. Vor den Vortragsräumen stellen Studierdende mittels Schautafeln und anderen Präsentationsmöglichkeiten ihre Themen vor und haben so die Möglichkeit, mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Gespräch zu kommen. Denn nur wer im Wissenschaftsbereich über seinen Tellerrand hinausschaut, empfängt neue Impulse für seine Forschungen. „Bei der letzten Konferenz, im Jahr 2018, hatten wir so einen großen Zulauf, da hatten sich 60 Leute für Vorträge angemeldet“, erinnert sich Björn Jakobs. „Das waren so viele, dass wir die Konferenz zweigleisig fahren mussten.“

IGEB Konferenz 2018
Impression der IGEB-Konferenz 2018 im Saarland. Foto: IGEB
IGEB 2018
Einladung der letzten Konferenz 2018, 2021 muss sie pandemiebedingt online stattfinden. Foto: IGEB

IGEB-Forschungspreis

Eine weitere Aktivität der IGEB ist die Verleihung des IGEB-Forschungspreises. Der Preis, der alle zwei Jahre ausgeschrieben wird, richtet sich an Doktoranden, die ihre Arbeit über ein blasmusikalisches Thema schreiben. Zu gewinnen gibt es den eigentlichen Preis und den so genannten Anerkennungspreis. Björn Jakobs ist einer der Preisträger. „Die Preisträger werden zur nächsten Konferenz eingeladen, dürfen einen Vortrag halten und bekommen die Unterkunft gestellt. Preisgeld gibt es keines, es ist aber eine großartige Gelegenheit für Wissenschaftler, in so eine Gemeinschaft reinzuwachsen“, erläutert Björn Jakobs. Im vergangenen Jahr erhielten den Preis Forschende der Universität Oxfort und der Pariser Sorbonne.

Ist Blasmusikforschung nur Musikwissenschaftlern vorenthalten?

Forschen nur Musikwissenschaftler über Blasmusik? Und das nur an den Blasmusikforschungsmekkas in Graz oder Luxemburg? Nein! „Guido Adler gründete im 19. Jahrhundert das Fach Musikwissenschaft. Rückblickend kann man sagen: Es gibt das Fach Musikwissenschaft nicht,“ behauptet Damien Sagrillo. Musikwissenschaft ist ein interdisziplinäres Fach, das sich aus vielen Richtungen zusammensetzt: Philologie, Ethnologie, Geschichte, Pädagogik, Literaturwissenschaft, Soziologie oder Psychologie. „Die Bandbreite der Musikwissenschaft überträgt sich auf die Themenvielfalt der IGEB,“ erzählt Damien Sagrillo. Allerdings sei die IGEB in früheren Zeiten sehr auf die Musikgeschichte fokussiert gewesen, da habe sich mittlerweile geändert. Im Klartext heißt das: Die Menschen, die Forschungsarbeiten über Blasmusik schreiben, können aus allen möglichen Fächern kommen. Zum Beispiel wäre eine Forschungsarbeit über Musikvereinsstrukturen gut in der Soziologie angesiedelt.

Blasmusikforschung: Manche schauen auf sie herab

Oft ist es sogar so, dass die Blasmusikforschung an musikwissenschaftlichen Instituten als minderwertige Teildisziplin angesehen wird. „Als ich angefangen habe, meine Arbeit über das Thema Blasmusik zu konzipieren, war das Thema Blasmusik an meiner Universität nicht sehr hoch angesehen“, erinnert sich Björn Jakobs. Sein erster Doktorvater habe sein Thema abgelehnt und er kontaktierte Dutzende Professoren. „Glücklicherweise traf ich Damien, der mich darin bestärkte, über mein Thema zu schreiben. Trotzdem stand ich zunächst allein da mit meinem Thema. Wenn man dann den Kontakt zu einem Wissenschaftsnetzwerk wie der IGEB knüpft, lernt man Leute kennen, die zwar andere Themen haben, aber irgendwo hat jeder etwas zur Schnittmenge beizutragen. Und diese kleine Schnittmenge bringt einen weiter.“

Wer forscht über Blasmusik?

Wie im obigen Teil erwähnt: Auch Hobbyforscher, die keinen Doktortitel anstreben, sich aber intensiv mit einem Thema befassen, können sich für einen Vortrag bei einer IGEB-Konferenz bewerben. Und zukünftige Doktoranden sind nicht gezwungen, im direkten Anschluss ihres Masterabschlusses zu promovieren. Im Rentenalter kann man sich mit seinem 40 Jahre alten Diplom oder Magisterzeugnis bewerben. „Ich habe einen Promovenden, der ist so alt wie ich“, erzählt der 1958 geborene Damien Sagrillo. „Das ist sehr häufig, speziell bei diesen Themen. Die Leute bringen Lebenserfahrung mit und sind auf den Geschmack gekommen.“

Die Vorteile der heutigen Blasmusikforschung

Es gibt das Internet. Das mag profan klingen, aber man versetze sich in die Zeit vor der Jahrtausendwende. Ins 20. Jahrhundert. Damien Sagrillo plaudert aus dem Nähkästchen: „Ich wollte damals bei Wolfgang Suppan promovieren, aber Suppan war in Graz und ich in Luxemburg. Das ging nicht, das hat man gar nicht in Erwägung gezogen.“

Um Quellen zu finden, muss man nicht mehr in staubigen Archiven wühlen. Heute ist vieles digitalisiert und am PC abrufbar. Björn Jakobs weiteres Argument explizit die Blasmusikforschung betreffend: „Blasmusiker, die über Blasmusik forschen, sind meist schon seit ihrer Kindheit mit der Thematik vertraut – anders als beim Ingenieur. Außerdem hat man oft einen Fundus oder wesentliche Archive vor Ort,“ sagt Jakobs, der die Geschichte und Entwicklung der Militär- und Amateurblasmusik seines Heimatlandkreises Saarlouis für seine Doktorarbeit erforscht hat.

Die Relevanz der Blasmusikforschung

Aber, wird sich manch einer fragen, was bringt eine Forschungsarbeit über so einen kleinen Bereich? Warum muss Blasmusik erforscht werden? Reicht es nicht, sie zu hören und zu spielen? Umso mehr wir die Dinge verstehen, umso mehr schätzen wir sie wert. Durch Erforschung der Mikroebene – wie hier die Amateurblasmusik im Landkreis Saarlouis – hat man die Basis zur Erforschung umfassendere Ebenen. Für geschichtliche Themen gilt für mich der Grundsatz: Die Gegenwart entwickelt sich aus der Geschichte. 

Im Bereich Amateurmusik hat Blasmusik einen hohen Einfluss auf den sozialen Aspekt, auf den die Musiksoziologie ein Augenmerk haben sollte. „Gerade in Zeiten von Corona zeigt sich, dass Blasmusik in pandemiefreien Zeiten ein Kitt für die Gesellschaft sein kann“, sagt Björn Jakobs, der Forschungsergebnisse schon in sein Jugendorchester einbaut. „Man muss die Leute sensibilisieren. Ich versuche immer kleine Details in meine Proben einzubauen, das hat einen sehr produktiven Ansatz“, erzählt er. Er fragt zum Beispiel: „Weißt du, woher deine Uniform kommt? Weißt du, woher der Schellenbau kommt?“

Die Zukunft der Blasmusikforschung?

Damien Sagrillo zeigt die Relevanz der Blasmusikforschung an der Ästhetik und Dokumentation. „Die Sensibilisierung tut not. Wir sind an eine Richtung gelangt, bei der ich mich frage, wo soll das hingehen. Die Frage zu beantworten, was ist eigentlich sinfonische Blasmusik.“ Außerdem besteht die Gefahr des Aussterbens der Besetzungen. Durch die Standardisierung der Blasorchesterbesetzungen gehen viele alte Werke verloren, die heute nicht mehr spielbar sind, weil sie Instrumente, wie zum Beispiel Es-Trompeten oder Des-Flöten, fordern oder in irgendwelchen Schränken vor sich hinschimmeln. Solche Werke dürfen nicht in der Altpapiertonne des Musikvereins landen, findet Sagrillo, sondern müssen erforscht werden: Wo kommt das Werk her, in welchem Zusammenhang wurde es geschrieben, wie ist das Werk harmonisch aufgebaut.

Die Zukunft der IGEB: Das Weltlexikon der Blasmusik

Deshalb hoffen die Mitglieder der IGEB, noch mehr Menschen zu motivieren, sich mit Blasmusikforschung zu befassen. Der nächste große Meilenstein der Gesellschaft wird ein Weltlexikon der Blasmusik sein. Ein Kompendium, das alle Bereiche der Blasmusikforschung abdecken soll. Eine Gemeinschaftsarbeit von mehreren Jahren.  Aber umso wertvoller für die Blasmusikwelt. Es gibt also viel zu tun: Für die Blasmusikforschung und für die IGEB. Neue Forscher sind jederzeit willkommen.

An der Onlinekonferenz am 15. und 16. Juli kann jeder zuhören. Eine Anmeldung bis 14. Juli ist nötig, um den Zugangscode zu erhalten. Die Anmeldung mit der Bitte um den Zugangscode bis 14. Juli an: igeb@uni.lu oder emailigeb@gmail.com

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