Die Blasmusik EM – umgangssprachlich für die „Europameisterschaft der böhmisch-mährischen Blasmusik“- musste pandemiebedingt zwei Jahre pausieren. Von 26. bis 29. Mai 2022 ist sie (hoffentlich) zurück – in einer Region, in der noch keine Blasmusik EM in ihrer über 20-jährigen Geschichte zuvor stattfand: In Nordrhein-Westfalen. Nachdem die Blasmusik EM an zahlreichen Orten in Bayern, Baden-Württemberg, Niederlande, Österreich, Schweiz, Tschechien und Slowakei stattgefunden hatte, hat sich ein Musikverein im Landkreis Höxter den Titel des Austragungsortes für 2022 erkämpft. Ich habe mit den Initiatoren der Blaskapelle Lüchtringen über die Blasmusik-EM 2022 gesprochen.
Blasmusik EM: Pioniere für Nordrhein-Westfalen
Von 26. bis 29. Mai 2022 erklingt Blasmusik pur im nordrhein-westfälischen Lüchtringen. Ausrichter der Blasmusik EM ist die CISM – Confederation international des societes musicales – der Zusammenschluss von elf europäischen Musikverbänden. Sie sucht für jedes Jahr einen Austragungsort. Zum ersten Mal fand die Europameisterschaft der böhmisch-mährischen Blasmusik im Jahr 2000 im bayerischen Maihingen statt. Die vergangenen Austragungsorte findet ihr in chronologischer Reihenfolge hier. Über die Blasmusik EM 2017 in Bamberg und die Blasmusik EM 2018 in Nesselwang lest ihr unter den jeweiligen Links auf vontutenundblasen, denn dort war ich als Berichterstatterin vor Ort. 2020 und 2021 entfiel die Blasmusik EM pandemiebedingt.
Absage für die Blasmusik EM 2018
2016 hatte das Magazin Mucke einen Aufruf zur Bewerbung für die Blasmusik EM 2018 gestartet. Sven Schafer, Dirigent der Blaskapelle Lüchtringen, hatte zusammen mit ersten Vorsitzenden Christoph Missing die Idee gehabt, sich zu bewerben. Denn 2018 wurde die Blaskapelle Lüchtringen 60 Jahre alt. Leider erhielt die Blaskapelle damals eine Absage.
Kaum Fokus auf Blasmusik bei NRW-Schützenfeste
Schließlich feierten die Lüchtringer ihr Jubiläum schon 2017 mit einem Kreismusikfest, denn: „Der Schützenverein veranstaltet in den geraden Jahren immer sein Schützenfest und da unser Musikverein 1957 schon sein erstes Treffen hatte, feierte wir eben 2017 und veranstalteten 2018 ein Jubiläumskonzert.“ Bei Schützenfesten, die in NRW einen hohen Stellenwert haben, rückt die Blasmusik nicht so sehr in den Fokus. „Da treten verstärkt Partybands auf“, erzählen mir Sven Schafer und Christoph Missing im Skype-Interview.
Blasmusik EM in NRW: Wenn, dann ihr!
Deshalb legte sich die Blaskapelle Lüchtringen umso mehr ins Zeug für eine weitere Bewerbung für die Blasmusik EM. „Wir hatten Blut geleckt und bewarben uns weiter. Wir legten mehr Augenmerk auf die Infrastruktur und legten der Bewerbung mehr Berichterstattung bei, die beweist: Wir können Großveranstaltung.“ Bekräftigt wurden sie dafür von den umliegenden Musikvereine im Landkreis Höxter. Deren Credo: Wenn das ein Verein macht, dann ihr! „Wir haben den Ruf in Lüchtringen und darüber hinaus, gerne und groß zu feiern.“ Was nicht zuletzt das Oktoberfest beweist, das der Musikverein seit über zehn Jahren jährlich veranstaltet.
Weite Strecken für Blasmusik in NRW
Die Blaskapelle Lüchtringen bewarb sich offen. „Wir sind froh, dass es 2022 wurde, denn 2023 richtet Höxter die Landesgartenschau aus.“ Dem Verein liegt es am Herzen, die Blasmusik EM nach Nordrhein-Westfalen zu bringen, denn bislang müssen Musikerinnen und Musiker aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands einen weiten Weg auf sich nehmen, um große Blasmusikfeste zu feiern. „Blasmusikfestivals sind erst so langsam im Kommen. Man muss schon sehr weit fahren, um das zu erleben“, erzählen Dirigent und Vorsitzender.
Pionierarbeit für die Blasmusik
Mit der Blasmusik EM will der 320 Personen starke Verein mit 50 aktiven Musizierenden aus Lüchtringen Pionierarbeit leisten. „Wir haben hier im Kreis Höxter eine hohe Dichte an Blaskapellen, die böhmisch-mährische Blasmusik spielen“, erzählen Schafer und Missing, deren Heimatkreisverband Höxter im Volksmusikerbund NRW etwa 70 Mitgliedsvereine zählt. „Mit der Ausrichtung der Blasmusik EM wollen wir den Musikern der Region ein besonderes Event bieten und die Möglichkeit zur Teilnahme an einem Wettbewerb schaffen, ohne dass sie weite Anreisen haben. Außerdem möchten wir in der Blasmusikszene auf unsere Region mit den vielen Musikvereinen aufmerksam machen.“
Erweitertes Teilnehmerfeld der Blasmusik EM
Zudem bietet die Blasmusik EM 2022 für noch nördlichere Bundesländer Chancen. Sie haben nach Lüchtringen eine weitaus kürzere Anfahrt als beispielsweise nach Franken oder ins Allgäu. Ein weiterer Grund für ein erweitertes Teilnehmerfeld: Das Regelwerk hat sich 2022 für Klein- und Großgruppen geöffnet. Bei der Blasmusik EM treten Orchester und Kapellen in drei unterschiedlichen Gruppierungen an: Kleingruppen von sechs bis elf Spieler*Innen, Gruppen von zwölf bis 25 Personen und Kapellen ab 26 Musizierenden. Bislang waren nur mittelgroße Gruppen bis 25 Personen zugelassen. Warum das so ist, habe ich Gottfried Reisegger gefragt, Verantwortlicher der CISM für die Europameisterschaft der böhmisch und mährischen Blasmusik. Das kleine schriftliche Interview mit ihm findet ihr unter diesen Link, der euch direkt nach unten springen lässt.
Juroren und später Anmeldeschluss der Blasmusik EM
Gottfried Reisegger wird einer der drei Juroren sein. Darüber hinaus werden Franz Watz und Stefan Ametsbichler die circa 15 Gruppen beurteilen, die sich bislang angemeldet haben. Viele weitere Anfragen liegen den Organisatoren noch vor, weshalb der Anmeldeschluss auf 31. März 2022 verlegt wurde. „Einige sind noch zögerlich, da die Coronalage weiterhin angespannt ist und regelmäßige Proben für einen Wettbewerb nicht uneingeschränkt gesichert sind,“ erzählen Schafer und Missing.
Unterstützung durch Blasmusikverband
Die Lüchtringer erwarten für die vier Tage circa 5.000 Gäste. Wer so ein großes Fest veranstaltet, braucht Unterstützung. Die kommt zum einen von Verbandsseite, von öffentlicher Hand und von der Privatwirtschaft. Die Blaskapelle Lüchtringen ist im Volksmusikerbund Nordrhein-Westfalen eingegliedert. Hier berichtet die Verbandszeitschrift „Crescendo“ regelmäßig über die Blasmusik EM und die Planungen. „Der Verband begleitet uns in der Coronazeit sehr gut und hält den Draht zur Politik, so dass wir schnell verlässliche Informationen zur Durchführung von Vereinsaktivitäten erhalten. Das ist insbesondere bei der Ausrichtung so eines Events von großer Bedeutung“, sagen der 30-jährige Sven Schafer und der 38-jährige Christoph Missing.
Unterstützung aus öffentliche Hand und Ehrenamtstöpfe
Die Blaskapelle Lüchtringen möchte mit der Blasmusik EM kein Geld verdienen, aber auch nicht mit einem Minus am Ende dastehen. Für Vereine und das daraus resultierende Ehrenamt gibt es viele Fördertöpfe in Bund und Ländern, das haben die Organisatoren mit der Zeit festgestellt. „Aber für Veranstaltungen kommen viele Fördertöpfe nicht in Frage.“ Der Landkreis Höxter hat aber aus seinem Kulturfördertopf eine Unterstützung bewilligt.
Unterstützung der Privatwirtschaft
Buffet Crampon ist der Hauptsponsor der Blasmusik EM, Hutter Music und das Magazin „Mucke“ stellen ein breites Netzwerk zur Verfügung. Außerdem wird die Blaskapelle Lüchtringen für die Blasmusik EM von vielen Firmen aus der Region gesponsert. „Wir mussten schon Klinken putzen und unsere Idee vorstellen, denn in der Region können sich wenige etwas unter einer Blasmusik EM vorstellen“, erinnern sich die Beiden an die Akquise.
Alle Vorbereitungen getroffen
Nun sollte für die Blasmusik EM in Lüchtringen nichts mehr im Wege stehen. Für Corona-Hygienemaßnahmen ist ausreichend gesorgt und sollte bis dahin noch eine Testpflicht herrschen, stellen die Veranstalter ein Testcenter zur Verfügung. „Da unser Festwirt in den vergangenen zwei Jahren auch immer wieder Testcenter betrieben hat, sind wir sogar für eine mögliche Durchführung mit tagesaktuellem Test gerüstet und könnten die Tests unmittelbar am Veranstaltungsgelände durchführen.“
Musikalische Markenzeichen der Gegend
Musikalische Besonderheiten wird es auf der Blasmusik EM auch geben. Zum einen wollen die Lüchtringer ihr Markenzeichen bekannter machen: „Jeder sollte am Ende die Brikett Polka kennen und einmal gehört haben.“ Außerdem wollen die Lüchtringer ihren Gästen ihre „Weser-Liebe“ präsentieren, die Jörg Bollin anlässlich des 60-jährigen Bestehens für die Blaskapelle Lüchtringen komponierte. Das Stück enthält Motive aus dem Weserbogenlied, denn der Fluss Weser macht in Lüchtringen einen Bogen.
EM-Überraschung
Für eine große EM-Überraschung wird Lukas Bruckmeyer sorgen. Er komponiert für die Blasmusik EM im Auftrag der Blaskapelle Lüchtringen eine Polka. Name ist noch geheim. „Lukas Bruckmeyer haben wir bei Brass meets Böhmisch kennengelernt und die Chemie stimmte gleich“, erzählen Sven Schafer und Christoph Missing über die Geschichte des Blasmusik EM-Werkes. Wann die Gastgeber am Festwochenende die Uraufführung spielen – das ist noch nicht sicher. Sicher ist: Alle freuen sich wahnsinnig auf die Blasmusik EM.
Fragen an Gottfried Reisegger, Verantwortliche der CISM für die Europameisterschaft der böhmisch und mährischen Blasmusik
Warum sind nun auch kleinere und größere Ensembles zugelassen?
Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass es immer mehr kleinere Ensembles gibt, die diese Stilrichtung spielen. Dazu gibt es schon viele gut eingerichtete Arrangements – teils im Verlag, teils selbst von der Gruppe erstellt. Die CISM möchte zukünftig diesen Gruppierungen die Möglichkeit geben, sich einer Jury zu stellen und sich beim Wettbewerb mit anderen Formationen zu messen. Nach oben war eine Teilnahme bisher mit 25 Musiker*innen limitiert. Das hat oft dazu geführt, dass ein paar wenige Musiker*innen nicht mitspielen durften, um eine Teilnahme zu ermöglichen. Mittlerweile gibt es viele Musikkapellen, die ihren Fokus auf die böhmisch-mährische Blasmusik gerichtet haben und an solchen Wettbewerben sehr gerne teilnehmen möchten.
Die EM findet zum ersten Mal in einem deutschen Ort außerhalb Bayerns und Baden-Württemberg statt. Haben sich in den Jahren zuvor sonst keine norddeutschen Orte beworben?
Vereinzelt schon, man darf sehr froh sein, dass diese Stilrichtung auch auf andere Regionen ausstrahlt, das kann für die Verbreitung der böhmisch-mährischen Blasmusik nur förderlich sein.
Wenn ja, woran liegt das, dass Norddeutschland bzw. Nicht-Süddeutschland da so zurückhaltend ist?
Ein Hauptgrund ist sicherlich die Dichte dieser Stilrichtung in der jeweiligen Region. Ein wichtiges Kriterium an der Durchführung einer derartigen Veranstaltung ist sicherlich auch das Publikumsecho, d.h. kann ich die Bevölkerung zum Besuch einer EM motivieren und zum zweiten, nehmen die Ensemble, welche mehrheitlich aus dem süddeutschen Raum und Österreich kommen, die doch teils weite Anreise auf sich? Andererseits ist der Vorteil bei den Niederlanden, wo es zahlreiche Gruppen gibt.
Nach welchen Kriterien werden die Stücke-Liste erstellt?
An erster Stelle steht die Qualität eines Werkes! In diesem Zusammenhang auch die Qualität des Notenmaterials, im Besonderen der Partitur oder des Particells. Eine einzeilige Direktionsstimme mit stichnotenartigen Eintragungen hilft weder der Kapelle bei der Einstudierung des Werkes noch der Jury bei der Beurteilung. Hier wurden alle Verlage seitens der CISM eingeladen, dementsprechendes Notenmaterial zur Verfügung zu stellen. Weitere Kriterien sind die Verlags- und Komponistenparität, neue Werke und die Besetzung, das heißt, sowohl für kleines als auch für großes Ensemble spielbar.
Was machen Sie, wenn ein Ensemble ein Selbstwahlstück spielen will, das nicht auf der Liste ist?
Es können auch Werke der CISM-Musikkommission zur Einstufung vorgeschlagen werden. Erfüllen sie dem Schwierigkeitsgrad und die Partiturtauglichkeit, können sie als freie Selbstwahlstücke gespielt werden.
Was wünschen Sie sich für die Blasmusik EM?
Ich freue mich sehr auf die EM in Lüchtringen, zumal auch der Veranstalter ein enormes Engagement für die Veranstaltung zeigt und wünsche ihnen viele teilnehmende Kapellen, ein großes Publikumsinteresse und einen angenehmen Wettbewerbsverlauf bei hoffentlich strahlendem Wetter.