Im Oktober 2022 kam ich in den Genuss, zum ersten Mal bei einer Projektphase des Projektorchesters „Süddeutsche BläserPhilharmonie“ teilzunehmen. Vier Proben, zwei Konzerte, sechs hoch anspruchsvolle Werke, die mich nicht nur bläserisch und musikalisch, sondern auch mental forderten. Trotzdem machte es mir großen Spaß und ich habe viel mitgenommen. Gerne bin ich in Zukunft wieder dabei!
Die Süddeutsche BläserPhilharmonie: Ein junges Projektorchester mit erfahrenen Instrumentalist*innen
Wie ich dazu kam, um welches Orchester es sich bei der Süddeutschen BläserPhilharmonie handelt und wie die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft dieses Projektorchesters aussieht und aussehen soll, erzähle ich euch in diesem Beitrag. Zunächst: Falls jemand auf meinen Blog stößt, der mit Blas- und Bläsermusik nicht vertraut ist, hier eine kleine Definition eines Projektorchesters:
Was ist ein Projektorchester?
Meine Projektorchester-Vergangenheit
Früher nahm ich öfter an Projektorchestern teil und empfand es jedes Mal als Bereicherung. 2008 kamen meine beiden Kinder im Abstand von 1,5 Jahren zur Welt und ich zog in eine Gegend, wo es meines Wissens kein Projektorchester gab, für das ich keine weite Anreise gehabt hätte und mir keine Übernachtungsmöglichkeit hätte suchen müssen. Mit dem ABO München führte ich mal ein Telefonat, aber die benötigten zu diesem Zeitpunkt keine Klarinetten. 2017 begleitete ich als Reporterin das Landesblasorchester Baden-Württemberg zum WMC nach Kerkrade und ertrank in Selbstmitleid, dass ich viel zu weit weg wohnte, als dass es sich irgendwie ausgehen würde, mich beim LBO BaWü zu bewerben.
Wie kam ich zur Süddeutschen BläserPhilharmonie?
2019 arbeitete ich beim DVO-Verlag und plötzlich flatterte die Pressemitteilung für das erste Konzert der „Süddeutschen BläserPhilharmonie“ ins Redaktionspostfach. Ein Orchester – angesiedelt zwischen München und Augsburg – das gefiel mir und ich besuchte das erste Konzert in Karlsfeld bei München. Das sagte mir ebenfalls zu und ich rief den Initiator Mathias Stößlein an und überfiel ihn mit meinem Wunsch, im Orchester mitspielen zu dürfen.
Wer sind die Orchestermitglieder der Süddeutschen BläserPhilharmonie?
Mathias interviewte mich zu meinem musikalischen Hintergrund und entlockte mir meine Einstellungen zu bestimmten musikalischen Themen. Wir stellten fest: wir schwingen auf einer Wellenlänge. Mathias hat einen Verteiler von etwa 300 Musiker*innen, mit denen er alle schon in seiner eigenen Projektorchesterkarriere in verschiedenen Ensembles zusammengespielt hat. „Ich habe 2018 festgestellt, dass ich ein Orchester aus dem Kopf runterschreiben kann, mit Menschen, die ich kenne, mit denen ich gerne zusammenspiele und die ich nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich liebgewonnen habe“, erzählt er mir für diesen Blogbeitrag. Außerdem hört er auf Tipps von Menschen, denen er vertraut. „Keiner muss vorspielen, aber ich führe Interviews und so bekomme ich mit, wie jemand denkt, musikalisch reflektiert ist und hoffe, dass meine Eindruck danach weitestgehend zutrifft, damit ein gutes Orchester zustande kommt.“
Süddeutsche BläserPhilharmonie und Corona
Mit mir „kaufte“ sich Mathias Stößlein also die Katze im Sack und ich war im Verteiler. Im Februar 2020 erreichten mich die Info- und Anmeldeemails für die Projektphase im Frühjahr 2020 und dann….brauche ich nicht weiter zu erzählen. Es dauerte für mich dann doch bis Herbst 2022 bis ich bei der Süddeutschen BläserPhilharmonie teilnehmen konnte, denn in der Zwischenzeit begann ich zudem beim Kreisblasorchester Ostallgäu, das im Herbst 2021 die gleichen Probentermine hatte. Hintergrund: Ich bin gebürtige Ostallgäuerin, ich muss aus privaten Gründen öfter dorthin und habe seit Ende 2020 kein festes Orchester mehr, bei dem ich wöchentlich proben kann. Daher sind zwei Projektorchester ideal für mich.
Die Geschichte der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Viel über mich geblubbert, jetzt zur essenziellen Geschichte. Warum hat Saxophonist Mathias Stößlein aus Mering (bei Augsburg) die Süddeutsche BläserPhilharmonie gegründet? „Ich spiele seit 30 Jahren in Projektorchestern, angefangen beim Schwäbischen Jugendblasorchester bis hin zu weiteren ca. 25 Projekten“, erzählt der 1979 geborene hauptberufliche Unternehmensberater. „Ich habe in allen Orchestern tolle Sachen entdeckt und wollte diese Sachen, was Ablauf, Musik, Musiker*innen oder Probenarbeit angeht zusammenbringen und ein persönliches ‚Best of‘ gründen.“ Er schrieb sich ein Konzept, in dem er unter anderem einen besonderen Fokus auf Probendauer und Probenart legte. Der wichtigste Punkt war ihm, dass zwei Dirigenten die musikalische Leitung übernehmen sollten. „Das hatte ich auf dem ein oder anderen Projekt kennengelernt und merkte, dass das sehr befruchtend sein kann.“
Die Dirigenten der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Die zwei Dirigenten musste Mathias Stößlein nicht lange suchen. Der eine, Philipp Kufner, ist Jugendfreund von Mathias und dirigierte dessen Heimatkapelle, die Kolpingkapelle Mering, schon bevor er den Weg zum professionellen Dirigenten einschlug. Den anderen, Bernhard Willer, lernte Mathias bei der Blaskapelle Höhenkirchen-Siegertsbrunn kennen, als er eine Zeitlang in München beruflich tätig war. „Mathias trat mit seiner Vision an mich heran“, erzählt der 42-jährige Dirigent Willer, der zunächst Schulmusik studierte und später das Kapellmeisterstudium bei Bruno Weil aufnahm. „Ich war erst zögerlich wegen meiner Kinder, allerdings hat mich seine Idee überzeugt“
Die Idee der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Die Grundidee ist: Auf höchstem Niveau mit wenigen, höchst effizienten Proben zu spielen. Dafür analysierte Mathias Stößlein zunächst lästige kleine Zeitfresser, die er in seinem Orchester weitestgehend ausmerzen möchte, damit er möglichst wenige Probentage ansetzen muss.
- Fehlende Ruhe und Konzentration. Obwohl er sich selbst, außerhalb von Proben, als einen „Schwätzer vor dem Herrn“ bezeichnet, weiß er, dass Geschwätz in einer Probe einfach nur Zeit und Konzentration kosten. Und ja, ich habe es selbst erlebt, die Proben bei der Süddeutschen BläserPhilharmonie waren wirklich außergewöhnlich konzentriert.
- Weiterspielen, wenn der Dirigent abwinkt. „Es gibt einen schönen Spruch: Der beste Musiker hört als Erstes auf. Der spart Kraft, spart Konzentration und ist sofort wieder da, wenn es weitergeht“, bringt es Mathias auf den Punkt.
- Unvollständige Besetzungen bei den Proben. „Wer die wenigen Proben, die wir haben, nicht zu 100 Prozent mitmachen kann, kann nicht am Projekt teilnehmen“, sagt Mathias konsequent, auch wenn er bei dieser Phase wegen Coronainfektionen Einschränkungen machen musste.
- Fehlende Selbstreflektion. „Jeder soll sich bei uns selbst kontrollieren. Keiner soll nach f oder fis fragen. Das wissen wir in der Regel zu 80 Prozent selbst und wenn ein Vorzeichen unklar ist, kann man in der Partitur nachschauen. Deshalb bekommt die auch jeder.“
- Fehlendes Timing. „Ich bin immer wieder begeistert, wie wenig Energie wir in Klang, Intonation und Technik reinstecken müssen, weil schon so viel da ist. Aber Rhythmus und Timing sind irgendwie das große Problem im Klassikbereich,“
Das sind nur einige Beispiele. „Ich habe noch einen ganzen Katalog, den ich mir aufgeschrieben habe. Zum Beispiel Notenblättergeraschel, weil ausgerechnet jemand bei einer Pianostelle lautstark und schnell sein Notenblatt umdrehen muss. Das stört. Auch die effektive Probenarbeit. Oder auch, dass man während der Probe nicht rausgeht, das sollte bei der Anzahl Pausen nicht nötig sein. Auch keine Stimmwechsel während einer Konzerthälfte. Im Profibereich wechselt schließlich auch keiner von der 1. auf die 4. Trompete und beim Proben reicht weiterblättern zum nächsten Stück statt der häufigen Platzwechsel mit Sack und Pack.
Wenige Proben bei der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Wenn diese Zeitfresser behoben sind, so Mathias Stößlein, könne man es mit wenigen Proben versuchen. Die Süddeutsche BläserPhilharmonie ist kein Jugendorchester, sondern es spielen Menschen mit musikalischer und Lebenserfahrung mit. „Da hat auch jeder die Erfahrung, dass er weiß, was von ihm oder ihr erwartet wird. Dass er oder sie Stellen, die er oder sie nicht bewältigen kann, trotzdem so löst, dass sie im Gesamtklang funktionieren.“ Menschen mit Erfahrung haben in der Regel aber meist keine Schulferien mehr, sondern Beruf, Familie und sind in der Rush-Hour des Lebens.
Kurze und wenige Proben bei der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Der ideale Ablauf für Initiator und Dirigenten sind 20 Stunden Probe für ein Konzert. Die Phase beginnt mit einer Leseprobe, die sich beide Dirigenten aufteilen: Der eine arbeitet mit Holz, der andere mit Blech und zum Abschluss folgt ein Tutti-Durchlauf. „Dann sind vier bis sechs Wochen Pause, in denen sich jeder mit dem Material beschäftigen kann,“ erläutert Stößlein. Es folgen ein ganzer Samstag und ein Sonntagvormittag. „Ich möchte keine Freitagabende. Die sind immer problematisch wegen der Anreise und man merkt einfach, dass die Leute mental noch in der Arbeit stecken. Ich möchte auch keinen Sonntagnachmittag, denn die Menschen haben Familie und sollen noch was vom Wochenende haben.“
Musiker*innen der Süddeutschen BläserPhilharmonie haben etwa eine Stunde Fahrzeit.
„Auch deshalb soll es so sein, dass die Teilnehmenden nur maximal eine Stunde Fahrzeit haben. Es gäbe noch so viele tolle Musiker*innen in anderen Ecken Süddeutschlands.“ Aber die Leute sollen noch etwas vom Wochenende haben. Anschließend ist ein Wochenende Pause, es folgt ein weiteres Probenwochenende und ein weiteres Wochenende später die Konzerte. „Idealerweise wäre zwei Wochen später ein weiteres Konzert schön.“
Das Repertoire der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Bei diesen Konzerten wird großer Wert auf Repertoire mit viel Substanz gelegt. Originalliteratur für sinfonisches Blasorchester steht dabei nicht unbedingt im Fokus. „Programmatisch unterscheidet uns, dass wir etwas klassischere Programme spielen“, erklärt Mathias. „Beiden Dirigenten ist wichtig, dass die Stücke kompositorisch sehr gut sind.“ Er hat den Eindruck, dass es bei Originalliteratur immer wieder Moden gäbe, die viele Projektorchestern spielen. „Mir macht das Spaß zu spielen, aber das machen ja schon die anderen Orchester.“
Bernhard Willer findet: „Originalwerke sind oft sehr bildhaft und gehen in Richtung Programmmusik. Viele Stücke spielen nicht auf dem Niveau wie absolute Musik aus dem sinfonischen Bereich, deshalb bemühen wir uns konsequent, nur die besten Stücke aus den Originalwerken auszuwählen.“
Die Originalwerke
Bei der jüngst vergangenen Phase, bei der ich teilgenommen hatte, waren diese Originalwerke „Yddish Dances“ von Adam Gorb, „Paris Sketches“ von Martin Ellerby und der Marsch der 20-Jährigen von Janos Gyulai-Gaal.
Bei einer vorangegangenen Phase hatte die Süddeutsche BläserPhilharmonie „Selamlik op.48/1“ von Florent Schmitt gespielt. „Inspiriert durch die osmanischen Zeremonialgarden, die Schmitt bei einer Parade erleben durfte. Dabei absolute Musik mit großer Substanz“, schwärmt Bernhard Willer. „Ein Blasorchesterwerk, das nie gespielt wird.“
Diese Werke und die Bearbeitungen wählen die beiden Dirigenten im Beisein von Mathias gemeinsam aus. „Wir sprechen immer zu dritt, aber die Auswahl ist Sache von Bernhard und mir“, erklärt Philip Kufner. „Nicht nur da zeigt sich, wie gut wir harmonieren. Es dauert nie lang, bis wir ein Programm zusammengestellt haben.“
Arrangements von sinfonischen Werken
Auch bei den Bearbeitungen wird geschaut, was passend ist. In dieser Phase wählten die Dirigenten neben der „Festlichen Ouvertüre“ von Dmitri Shostakovitch und der „Carnival Ouvertüre“ von Antonin Dvorak, Leonard Bernsteins Divertimento aus. „Dort wird der Bläserapparat schon in der Fassung für Sinfonieorchester voll ausgeschöpft, deswegen bleibt in der Blasorchesterfassung originale Klangvorstellung im Kern erhalten“, erklärt Bernhard Willer die Motive für die Auswahl.
Die Süddeutsche BläserPhilharmonie und ihre zwei Dirigenten.
Bernhard Willer und Philipp Kufner sind sich einig: Es sei eine große Bereicherung mit anderen Dirigenten zu arbeiten. „Es ist großartig, sich eine künstlerische Leitung zu teilen. Es hängt natürlich immer vom Kollegen ab, es muss menschlich und künstlerisch stimmen – das tut es bei Bernhard und bei mir zu 100 Prozent“, schwärmt Philipp Kufner. „Wir ticken musikalisch sehr ähnlich und haben doch andere Vorgehensweisen und Methoden, aber unterm Strich geht es immer in die gleiche Richtung.“
Den Vorteil für das Orchester sehen die beiden darin, dass es flexibler wird. „Auch unsere Flexibilität fördert es“, erläutert Kufner. „Sich darauf einlassen, bringt einen in seiner künstlerischen Arbeit weiter. Nach den Konzerten tauschen wir uns immer aus. Ich halte das für alle Beteiligten für fruchtbar.“
Die Biographien der Dirigenten der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Beide Dirigenten kommen nicht rein aus der blasmusikalischen, sondern aus der klassischen Dirigierausbildung. Bernhard Willer fing mit Schlagzeug an, es folgten klassische Gitarre und Klavier. „Das Klavier ist das Hauptwerkzeug als Dirigent, man kann nicht genug Klavier spielen“, findet er. Er studierte zunächst Schulmusik und wechselte dann ins Kapellmeisterstudium. Der Grund für sein Musikstudium: „Ich wollte wissen, was die Musik im Innersten zusammenhält. Wie sind die Stücke, die mich ergreifen, aufgebaut. Bruckner und Brahms sind dafür verantwortlich, dass es mich gepackt hat.“
Bernhard Willer und Philipp Kufner
Philipp Kufner hat zunächst Posaune studiert und sich dann entschieden, das Dirigieren in den Fokus zu stellen. Er unterrichtet Posaune und ist als Dirigent und Gastdirigent viel bei Projektorchestern unterwegs. Darüber hinaus gibt er viele Coachings für Blaskapellendirigent*innen. Das ist mit ein Grund, dass er seine Heimatkapelle, die Kolpingkapelle Mering, seit 1997 leitet, denn: „Wenn ich nur noch Projektorchester machen würde, hätte ich den Menschen, die an vorderster Front sind, irgendwann nichts mehr zu sagen.“ Viel wichtiger aber für sein Engagement in Mering: „Das sind alles meine Freunde und ich lebe hier.“
Die Zukunft der Süddeutschen BläserPhilharmonie
Nun gibt es die Süddeutsche BläserPhilharmonie seit 2019 und die Initiatoren hoffen, dass sie sich nach dem ganzen Corona-Auf-und-Ab weiter etablieren können. Wenn möglich, sollen zwei Phasen pro Jahr stattfinden und Mathias‘ Wunsch wäre es, bei einer Phase auch einen Aufenthalt in einer Musikakademie zu ermöglichen. Das große und ganze Ziel formuliert er so:
„Wir wollen dem Namen Süddeutsche BläserPhilharmonie dahingehend gerecht werden, dass wir uns in den Top Drei Süddeutschlands musikalisch gesehen wiederfinden. Das ist gar nicht so einfach, denn es gibt tolle andere Projekte.“