Sie sucht die Nähe zu Menschen und Musikern. Die extrovertierte Klarinettistin Shirley Brill aus Israel musiziert am liebsten im Miteinander – auch als Solistin. Durch diese Offenheit wundert es nicht, dass sie sich ohne Vorbehalte auf Ungewöhnliches einlässt. Im November 2017 traf ich sie in Ingolstadt. Dort – und am folgenden Tag in Bamberg – spielte sie zusammen mit der BrassBand 3BA das Klarinettenkonzert KV 622 von Wolfgang Amadeus Mozart. Den folgenden Text schrieb ich im Anschluss.
Shirley Brill: Am liebsten gemeinsam
Hautnah können die Zuhörer sie erleben. Richtig hautnah. Shirley Brill sitzt nach ihrem Auftritt mit der BrassBand 3BA nicht in der Künstlergarderobe und badet divenhaft alleine in ihrem Erfolg. Sie steht in der Pause im Foyer und unterhält sich mit jedem, der gerne etwas von ihr wissen will. Sie lacht viel, ihre Korkenzieherlocken wippen hin und her und sie schaut ihrem Gesprächspartner in die Augen. So wie sie es schon am Vormittag beim Interview getan hat.
Beinahe wäre sie gar nicht weit weg von Ingolstadt gezogen. „Ich mag Süddeutschland. Als wir von den USA zurückkamen, haben wir uns überlegt, nach München oder Berlin zu ziehen. Letztendlich ist es doch Berlin geworden, weil dort viele Freunde von uns leben.“ Wir, das sind Shirley Brill und ihr Ehemann Jonathan Aner. Er ist Pianist und begleitet die 1982 in Israel geborene Musikerin schon seit fast 20 Jahren. Musikalisch und Privat. Jeden Weg seit ihrer Gymnasiumszeit ist Shirley Brill mit Jonathan Aner gegangen.
Die Klarinette: Viele Möglichkeiten
In der Schule fand sie zur Klarinette. Zuvor hatte Shirley Brill Klavier gelernt. „Das war schön und gut, aber es war mir zu einsam“, sagt sie. Schon damals wusste sie, dass sie nicht der Typ ist, der so gerne alleine bleibt. „Heute weiß ich, dass man viel Kammermusik spielen kann, aber damals hatte ich die Möglichkeit noch nicht. Ich wollte mit anderen Leuten was machen.“
Shirley Brill: Tonleiter als Meditation
Eine wichtige Rolle spielt der Erste ihrer drei Klarinettenlehrer – Yitzhak Katzap. „Vom ersten Moment an war da eine Liebe mit dem Instrument und mit ihm. Er ist bis heute wie mein dritter Opa. Wir hatten manchmal bis zu drei Mal die Woche Unterricht“, erinnert sie sich. „Er gehört zu der älteren Generation, bei der es galt, sehr konsequent Töne auszuhalten und Tonleitern zu üben. Aber ich bin ihm sehr dankbar dafür.“ Shirley Brill liebt die Tonleiter bis heute. „Es ist für mich wie Meditation. Ohne Tonleiter kann ich meinen Tag nicht beginnen.“
Singen mit der Klarinette
Wenn Shirley Brill redet, flirrt die Luft vor positiver Energie. Sie spricht viel von Liebe – und man nimmt es ihr ab, dass sie das, was sie tut und was sie umgibt, aus tiefsten Herzen liebt. Natürlich auch ihr Instrument. „Der Klang ist so warm, so rund und so nah an der Stimme, dass man denkt, wir singen mit der Klarinette. Wir können so viele Arten von Musik mit der Klarinette spielen und das Instrument hat eine riesige Familie. Von der hohen Es-Klarinette bis zur Kontrabassklarinette. So viele Klangfarben. Es bleibt immer lebendig.“
System spielt keine Rolle
Shirley Brill selbst spielt Klarinetten eines Bamberger Instrumentenbauer mit Böhm-System. Ein Problem war das nicht, als sie nach ihrer Schulzeit in Deutschland bei Sabine Meyer zu studieren begann und die Deutsches System spielt. Für Shirley Brill war es ausschließlich eine Bereicherung. „Ich liebe Sabines Musizieren. Ich wollte das alles aufsaugen und lernen und das hat nie gestört, dass ich ein anderes System spiele. Musik bleibt Musik.“ Sogar Griffe adaptierte Shirley Brill vom deutschen auf das Böhm-System. Zu Sabine Meyer hat Brill ein inniges Verhältnis. „Sabine und ihr Mann Rainer Wehle haben mich vom ersten Moment wie eine Mama und Papa in Lübeck behandelt. Um ihre ganze Klarinettenklasse haben sie sich so gekümmert.“
Von Lübeck nach Boston
Nach ihrem Studium in Lübeck ging Shirley Brill nach Boston/USA zu Richard Stoltzman. „Das war etwas ganz anderes. Da ging es nicht um Klang, sondern um Musik pur. Es war ihm immer wichtig, dass man mit der Musik was zu sagen hat.“ Insgesamt fasst die Israelin ihre Studienzeit so zusammen: „Die perfekte Reihenfolge. Basics mit Yithhak Katzap, Klang und Stilistik mit Sabine Meyer und dann Breaking the Rules mit Richard Stoltzman.“
Blasorchester: In Israel weit verbreitet
Ihr Weg zur Solistin war nicht geplant. Das hatte sich in einem Fluss so ergeben. In der Schule wurde sie zunächst komplett durch das Blasorchester geprägt. Von der Bläserklasse bis zum Jugendblasorchester. Mit anderen Kindern zusammenspielen – das war genau das, was die junge Shirley gesucht hatte. „Blasorchester ist in Israel sehr verbreitet. Wir sind auch viel zu Wettbewerben unter anderem nach Österreich und Spanien gefahren und ich kenne das Blasorchesterrepertoire sehr gut.“
Anruf von Zubin Metha
Als sie einmal mit ihrem Blasorchester in Österreich unterwegs war, erreichte sie der Anruf der Mutter. Zubin Metha habe angerufen, berichtete die Mutter. Mit den Israel Philharmonics gestaltete er Konzerte mit jungen Talenten und wurde auf Shirley Brill aufmerksam. Er lud sie zum Vorspiel ein. „Ich habe noch in Österreich meine Klarinette genommen und angefangen zu üben.“ Nach dem Vorspiel wurde sie ausgewählt, als Solistin mit dem Orchester aufzutreten. Sie spielte das Concertino von Carl Maria von Weber und spürt heute, dass dieses Erlebnis wohl der Auslöser gewesen sein muss. „Es war ein Erlebnis. Wie Zubin Metha dirigierte, wie das Orchester begleitete. Zuvor war ich nervös, aber währenddessen habe ich die ganze Atmosphäre nur genossen. Es war ein unglaubliches Gefühl, so eine Größe zu haben.“
Der Draht zum Orchester
Seitdem und wenn Shirley Brill als Solistin tätig ist, hat sie immer gerne Kontakt zu den Orchestermusikern und versucht immer, etwas Gemeinsames zu kreieren. „Man spielt anders, wenn man einen Draht zum Orchester hat und das kommt auch beim Publikum rüber. Man ist eine große kammermusikalische Gruppe, eine Einheit. Und nicht nur Solo und Orchester.“
Shirley Brill und die Brassband 3BA
Dieses Miteinander zeigt Shirley Brill beim Konzert mit der Brassband 3BA. Das feine, filigrane Klarinettenkonzert von Wolfgang Amadeus Mozart, in dem in Ingolstadt und Bamberg den Streicherpart ausschließlich Blechbläser übernehmen. Kann das funktionieren? Es funktioniert und macht Spaß zuzuhören, denn das Orchester schafft ein ähnliches Piano wie ein Streichorchester und gibt der Solistin viel Raum, sich zu entfalten.
Shirley Brill hatte schon einen Monat zuvor unter Dirigent Thomas Ludescher gespielt. Dort mit dem sinfonischen Blasorchester Vorarlberg das Klarinettenkonzert von Aaron Copland. Als sie dieses Werk mit Sinfonieorchester interpretiert hatte, hatte sie sich schon damals gedacht, welche Stellen auf die Bläser übertragen werden könnten – wie beispielsweise eine bestimmte Bratschenstelle auf die Hörner. Und so passierte es. „Das war das, was ich gesucht habe. Da sind Klänge, die man sucht und dann passt es perfekt.“
„Ich bin klassische Klarinettistin“
Aaron Copland und Artie Shaw – die Meister des klassischen Jazz oder der „American Classics“. Für Shirley Brill ein Ausflug in die Richtung des Jazz. Aber: „Ich bin klassische Klarinettistin“. Sie hält sich an das Prinzip, die eigene Sache richtig zu machen. Genauso sieht sie es mit Klezmer. „Klezmer ist ein Bereich für sich – wie Jazz oder Klassik. Man sollte das schon richtig können. Ich mache manchmal eine Klezmerzugabe und höre es mir sehr gerne an. Aber ich müsste erst einen Meisterkurs machen und das richtig lernen.“
Arrangement von Janacek-Sonaten
Was sie sehr gut kann, ist arrangieren. Bei einem Konzert in Boston hörte Shirley Brill die Violinsonaten von Leos Janacek. „Die Klänge dieser Musik, ich war so begeistert. Die Tonsprache, die Janacek benutzt, ist eine Rarität. Sie ist nicht nur Schönheit wie bei Brahms, sondern ist sehr geerdet.“ Die CD stelle ich übrigens unter diesem Link vor.
Shirley Brill: soziale Ader
Solo und Kammermusik in Verbindung mit anderen Musikern – das ist Shirley Brills Leidenschaft. Durch ihre soziale Ader spielt sie zudem gerne im Orchester. Seit 2009 ist sie Soloklarinettistin des West-Eastern-Diwan Orchesters von Daniel Barenboim, das Musiker aus Israel und den arabischen Ländern zusammen bringt. 2009 konnten viele Musiker aus Syrien nicht zum Projekt anreisen und das Orchester suchte dringend jemanden für die Klarinette. Daniel Barenboim rief Shirley Brill an – seitdem ist sie dabei und hat dort viele alte und neue Freunde getroffen. Für Shirley Brill hat das Orchester nicht nur auf der Metaebene etwas Zusammenführendes, sondern auch auf der persönlichen Ebene.
Musik überwindet Grenzen
Musik über Grenzen hinweg – bei näheren Hinsehen, merkt man, dass es, im Vergleich zur Größe Israels viele bekannte israelische Instrumentalisten gibt. Israel – ein Musikerland? Shirley Brill kennt sehr viele gute Musiker aus Israel, die jetzt in Europa oder in den USA leben. „In Israel gibt es eine sehr gute Schule für klassische Musik. Die Tradition ist noch da. Und dadurch, dass das Land so klein ist und wir nicht in unseren Nachbarländern auftreten können, müssen wir raus.“ Vielleicht, sagt Shirley Brill, sei es die Stimmung in Israel. „Man will Musik machen, um weg von dem ganzen Chaos zu kommen.“