Musikpsychologie: Von Schokolade und Intelligenz

Schon die Griechen der Antike haben sich mit der Wirkung von Musik und Musikpsychologie beschäftigt. Kurz vor Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die experimentelle Psychologie und schon da haben sich die ersten Psychologen für Musik interessiert. Heute ist das Gebiet der Musikpsychologie ein weites Feld. Kathrin Schlemmer ist Professorin für Musikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Ich habe mich vor einigen Jahren mir ihr über das absolute Gehör, Begabung und über die Frage gesprochen, ob Musik intelligent macht.

Musikpsychologie: Musik macht nicht intelligent – kann aber wie Schokolade wirken.

Frau Schlemmer, was passiert mit einem Menschen, wenn er Musik hört?

Beim Hören geht es von Anfang an um Bewertungsprozesse – mag der Hörende die Musik oder nicht. Dann findet bei der Wahrnehmung von Musik immer eine Wechselwirkung von Gedächtnis und Emotionen statt. Musikhören hat auch eine Auswirkung auf das Handeln eines Menschen, wenn er z.B. bemerkt, ob es gut oder schlecht für ihn ist, dass er durch Musik eventuell von einer anderen Tätigkeit abgelenkt wird.

Wird man denn von Musik stark von anderen Tätigkeiten abgelenkt?

Das kommt auf den Einzelnen an. Es gibt eine Reihe von Studien in der Musikpsychologie, die zeigen, dass zwei parallele Tätigkeiten ein Problem darstellen können, wenn man sich auf beides konzentriert. Wenn Sie gleichzeitig eine anspruchsvolle Aufgabe lösen und Musik hören, der sie auch zuhören, dann ist ihre Aufmerksamkeit begrenzt und sie können nicht beides genauso gut machen, als wenn sie eine Aufgabe alleine bearbeiten.

Es gibt aber auch die emotionalen Effekte von Musik. Es kann bei einem schlecht gelaunten Schüler, der sich an die Hausaufgaben setzten muss, förderlich sein, dass er Musik hört und dadurch gute Laune bekommt, so dass er an die Aufgabe besser rangeht. Da hat die Musik einen ähnlichen Effekt wie ein Stück Schokolade oder eine Tasse Kaffee. Sie aktiviert und erzeugt eine positive Stimmung. Trotzdem kann beim Arbeiten selbst die Konzentration wieder vermindert werden.

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Musik macht nicht intelligent – kann aber wie Schokolade wirken.
Foto: Adobe Stock/freshidea

Kann man Musik überhaupt nebenbei hören?

Man kann schon weg hören. Es gibt Studien in der Musikpsychologie, die sich damit beschäftigen, wie Jugendliche Musik hören. Es wurde festgestellt, dass Jugendliche Musik zunehmend nebenbei hören und gar nicht so richtig konzentriert zuhören. Und es gibt Musik, wie im Kaufhaus oder im Restaurant, die als Klangteppich verwendet wird.

Womit beschäftigt sich die Musikpsychologie außer dem Musikhören noch?

Musikpsychologie beschäftigt sich auch mit dem Musizieren. Da geht es beispielsweise darum, wie viel Begabung jemand braucht, um ein professioneller Musiker zu werden. Wir fragen uns: Ist Begabung etwas Angeborenes, wie sehen Übeprozesse aus und wie befördern Musiker Stücke in ihr Gedächtnis.

Das musikalische Gedächtnis ist einer ihrer Forschungsschwerpunkte in der Musikpsychologie. Was sind eigentlich musikalische Gedächtnisprozesse?

Man unterscheidet in der Musikpsychologie zwischen kurzfristigen Gedächtnisprozessen – hier untersucht man, wie das Arbeitsgedächtnis mehrere Reize gleichzeitig verarbeitet – und den langfristigen Gedächtnisprozessen. Das sind solche, die für das absolute Gehör eine Rolle spielen. Hier fragt man sich, wie Musik langfristig im Gedächtnis gespeichert bleibt.

Beschreiben Sie bitte das Phänomen „absolutes Gehör“ genauer!

Es scheint eine besondere Gedächtnisfähigkeit zu sein, denn  Absoluthörer können sich Töne ganz genau merken. Das scheint eine automatische Assoziation mit dem entsprechenden Tonnamen zu sein. Bei Absoluthörern leuchtet sozusagen ein Ton vor dem geistigen Auge auf, wenn sie ihn hören. Die merken ganz schnell und automatisch, das ist jetzt zum Beispiel ein C. Dadurch können sie sich die Töne langfristig merken, ohne sie nachsingen zu müssen.

Ist das angeboren?

Wie man das erwirbt, ist sehr kontrovers diskutiert worden, frühe Theorien besagen, das sei angeboren und ein Zeichen von musikalischer Begabung. Das ist nicht der Fall. Es gibt viele Hinweise darauf, dass es eine erlernte Fähigkeit ist, die viel mit frühem Musikunterricht zu tun hat. Was man noch nicht genau sagen kann, ist wie das Lernen vor sich geht. Man kann sich vorstellen, dass ein Klavierschüler immer wieder eine bestimmte Note sieht und vom Klavier immer den gleichen Klang dazu hört. Irgendwann verbindet der Schüler den Klang automatisch mit dem Tonnamen. Das nennt man assoziatives Lernen.

Sind Absoluthörer musikalischer als andere Menschen?

Es hat mit Musikalistät nichts zu tun, auch wenn Mozart ein Absoluthörer war. Es gibt viele Musiker, die keine Absoluthörer waren und trotzdem tolle Kompositionen geschrieben haben.

Wenn Musiker Intervalle, die sehr klein sind, benennen sollen,  gibt es keinen Unterschied zwischen Absolut- und Nichtabsoluthörern. Und das ist ja das, was Musiker können müssen: sich einhören in einen Klang und sauber einsetzen. Das einzige, was Absoluthörer  besser können, ist sich einzelne Töne zu merken. Aber Einzeltongedächtnis hat überhaupt keine Relevanz in unserer Musikpraxis.

Wenn also das absolute Gehör nichts über die Begabung aussagt, wie wird denn dann die musikalische Begabung in der Musikpsychologie definiert?

Sie ist so ähnlich definiert wie die menschliche Intelligenz. Es gibt einen großen Teil der Bevölkerung mit einer mittleren musikalischen Begabung. Daneben gibt es jeweils eine kleine Anzahl von Hochbegabten und wenig Begabten. Aber die Definition der Hochbegabten als Begabte täuscht darüber hinweg, dass es viele Leute gibt, die vielleicht kein Instrument spielen, bei denen aber Musik ein ganz wichtiger Teil des Lebens ist. Die sind auf eine andere Weise begabt: Begabt Musik zu hören oder zu nutzen. Man ist heute immer mehr davon überzeugt, dass es auch eine Musikalität des Hörers gibt und nicht nur die des Interpreten.

Kann ein unbegabter Mensch ein Instrument erlernen?

Es gibt eigentlich kaum Menschen, die von Natur aus unmusikalisch sind. Es gibt aber Menschen, die nie einen Bezug zur Musik bekommen haben. Es gibt Studien, die danach fragen, ob man sich für musikalisch oder unmusikalisch hält. Darauf antworten viele, sie seien unmusikalisch. Dann bearbeiten sie musikalische Tests und man merkt: sie können Musik normal wahrnehmen, sie können Melodien unterscheiden, sie können sagen, ob die Musik traurig oder fröhlich klingt. Von denen würde man sagen, sie sind normal musikalisch begabt. Hätten sie ein Instrument gelernt, hätten sie es wahrscheinlich auf ein bestimmtes Niveau bringen können. Das heißt jetzt nicht, dass jeder eine Maria Callas oder ein Lang Lang wird. Dazu gehört nämlich noch sehr viel Training. Die Qualität eines Interpreten hängt am Ende auch davon ab, wie viel er geübt hat.

Bedeutet das also, ein mittelmäßig begabter Mensch, der wahnsinnig fleißig und ehrgeizig ist, kann es zu einem guten Musiker bringen?

Ob er ein Lang Lang wird, kann man nicht sagen, aber es kommt nicht nur auf die angeborenen Fähigkeiten an, sondern auch auf den Lernprozess. Es ist enorm wichtig, wer der erste Instrumentallehrer war, die Beziehung zu dem Lehrer und das Üben. Das gemeinsame Üben mit den Eltern hat sich als wichtig erwiesen. Da sind viele Faktoren dabei, die das Ergebnis ausmachen, und es ist auch ein bisschen Glück dabei.

Sie können nicht aus jedem Menschen einen professionellen Musiker machen. Aber sie können es auch nicht an den Genen ablesen, wer am Ende ein Superstar wird. Sondern es ist immer ein Zusammenwirken von angeborener Persönlichkeit und Merkmalen des Lern- und Übeprozesses.

Wenn die musikalische Begabung ähnlich definiert ist wie die menschliche Intelligenz – kann man daraus schließen, dass Musik intelligent macht?

Nein.  Es gibt den Mozart-Effekt, der besteht daraus, dass man Leuten zehn Minuten eine Mozart-Sonate vorgespielt hat und die sollten danach einen räumlichen Intelligenztest machen. Die Leistungen waren nach dem Musikhören ein bisschen besser, als wenn sie nichts gehört haben. Aber das ist erstens ein Effekt, der sich nur schwer wiederholen ließ. Und außerdem ist er nach ein paar Minuten wieder vorbei.

Und Musizieren – macht das wenigstens intelligent?

Es gibt zwar einige Studien, die behaupten, einen solchen Zusammenhang zu finden, bislang wurden aber nur sehr kleine Effekte auf die Intelligenz nachgewiesen. Zusammenhänge zwischen Musik und Intelligenz können natürlich auch damit zusammen hängen, dass Kinder, denen Leistungen in der Schule leichter fallen, eher mehr Kapazitäten frei haben, um noch ein Instrument zu lernen, weil sie nicht den ganzen Nachmittag mit Hausaufgaben verbringen müssen. Intelligenz ist ein Persönlichkeitsmerkmal, das nach dem Grundschulalter relativ stabil ist und sich nicht unbedingt durch Musikunterricht verändert.

Dann hat Musik also auch keinen Einfluss auf die Persönlichkeit?

Nein. Es gibt zwar Zusammenhänge zwischen der Persönlichkeit und bevorzugten Musikstilen, es gibt aber beispielsweise keine Belege dafür, dass Heavy-Metal die Leute aggressiv macht. Das bedeutet nicht, dass Musik keine negativen Wirkungen haben kann. Es gibt Musik, die wird zum Aufputschen benutzt, zum Beispiel von Neonazi-Gruppen, die danach losziehen und jemanden verprügeln wollen.

Warum mag man denn Heavy-Metal, warum mag man Klassik, warum mag man volkstümliche Musik? Wie entwickelt sich der Musikgeschmack?

Das hat viel mit Gewöhnung zu tun. Kinder  werden ab der Geburt, oder schon ein bisschen davor, kulturell geprägt, durch das was sie Hören. Man mag das, was man kennt. Das ist der sogenannte Mere-Exposure-Effekt, der Effekt des Ausgesetztseins.

In der Pubertät wird dann wichtig, was die Gleichaltrigen hören. Und da hören fast alle Kinder viel Popmusik – das hat auch etwas mit Abgrenzung zu den Eltern zu tun. Außerdem gibt es verschiedene Musikstile, mit denen sich Jugendliche voneinander abgrenzen können, für sie ist ihr Musikgeschmack ein Teil ihrer Identität. Wenn Menschen älter werden, dann spielt oft das wieder eine Rolle, was sie in früherer Zeit gehört haben.

Das Alter hat also einen großen Einfluss, wie auch die Bildung. Man findet den typischen Effekt, dass Klassik von Akademikern eher bevorzugt wird und volkstümliche Musik eher von älteren Menschen.

Warum ist es für ältere Menschen schwerer, ein Instrument zu lernen als für Kinder?

Die Fingerfertigkeit eines Erwachsenen ist ab einem bestimmten Alter eingeschränkt. Dann haben Erwachsene damit zu kämpfen, dass sie im Lauf ihres Lebens schon viele Einspielungen gehört haben und so hohe Ansprüche an Ihr eigenes Musizieren haben. Man darf aber auch nicht vergessen, dass das ganze Gehirn  plastisch, also veränderungsbereit ist. Am meisten gilt dies aber für die Kindheit. Man lernt nie aus, und trotzdem gibt es Lernprozesse, die sich verlangsamen. Allgemein ist es für einen älteren Menschen leichter, ein Blasinstrument zu lernen als Geige oder Klavier.

Zur Person:

Kathrin Schlemmer, Jahrgang 1973, ist Inhaberin der Professur für Musikwissenschaft der Katholischen Universität Eichstätt. Zuvor studierte sie Musikwissenschaft und Psychologie in Berlin, arbeitete als Wissenschaftlerin unter anderem in Halle und promovierte in Psychologie.  Ihre Forschungsschwerpunkte sind das musikalische Gedächtnis, absolutes Gehör und die Effekte des Musikhörens.

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