Meine Recherchen zum Thema Konzertbestuhlung sind aus dem Jahr 2012 und wurden damals in der „Clarino“ veröffentlicht – aber sie verlieren natürlich nicht an Aktualität. Deshalb könnt ihr sie hier nachlesen.
Der Saal ist hell erleuchtet. Gläser klirren, Besteck klappert. „Wer hat das Weizen bestellt“, ruft eine Bedienung im Forte in eine filigrane Pianissimo-Stelle. Die Gäste sitzen sich an langen Tischreihen gegenüber und müssen ihren Kopf um 90 Grad drehen, um einen kurzen Blick auf die Bühne zu werfen. Manch einer sitzt sogar mit dem Rücken zum Geschehen.
Das ist nicht die Beschreibung eines bunten Abends mit Musikumrahmung oder die eines Starkbierfestes eines Musikvereins. Hier spielt sich eine Szene aus einem Jahreskonzert eines Blasorchesters ab. Ist so eine Konzertbestuhlung noch zeitgemäß? An einem Jahreskonzert möchte ein Musikverein beziehungsweise ein Amateurblasorchester sein Bestes zeigen. Mehrere Monate arbeiten die Musiker auf das für sie so wichtige Ereignis hin. Am Tag X dann oben beschriebenes Szenario: auf dem Konzert wird bewirtet und die ganze Aufmerksamkeit der Zuhörer ist dahin. Warum machen Musikvereine das oder machen sie es überhaupt noch? Und was ist überhaupt die ideale Bestuhlung?
Stadthallen, Hotels oder Kultur- und Kongresszenteren bieten jede möglich individuelle Bestuhlungsform an. Das reicht von der Stuhl- über Tischreihen, so genannte Fischgrätbestuhlungen oder Bankette – also mehrere runde Tische. Eine parlamentarische Bestuhlung – horizontale Tischreihen – fällt für ein Konzert schon alleine wegen der Wortbedeutung aus.
In offiziellen Stadthallen ist eine Bestuhlungsform bei einem Konzert, so dass bewirtet werden kann meist nicht vorgesehen. Hier sind in der Regel Stuhlreihen aufgebaut. Tischreihen mit Bewirtung finden sich oft im ländlichen Raum.
Warum Bewirtung?
„Mit Stuhlreihen wäre es zwar ruhiger, wir wollen aber die Bewirtung während des Konzertes beibehalten. Wir als Verein haben dadurch sehr viel Umsatz und unserem Publikum gefällt es und es ist es so gewöhnt“, sagt ein Vorstand einer kleinen Kapelle aus dem Südbayerischen Raum. Harald Eßig von der Bundesvereinigung deutscher Musikverbände (BDMV) kann diese Aussage zum Teil bekräftigen: „Es gibt noch Musikvereine, die im Konzert bewirten. Das kommt ganz auf den Ort an. Oft sind die Zuhörer es so gewöhnt und ein Verein hätte auf einmal weniger Publikum wenn es sich ändern würde.“ Allerdings würden viele Vereine versuchen, eine Art Professionalität zu erreichen, was meist auf eine klassische Konzertbestuhlung in Form von Stuhlreihen hinauslaufe.
Bei Bewirtung ensteht Wirbel
Alois Schöpf, Journalist und Buchautor aus Österreich, Kenner der Blasmusikszene sowie Initiator der Innsbrucker Promenadenkonzerte kann mit einem bewirteten Konzert nichts anfangen: „Sobald bewirtet wird entsteht zwangsläufig ein Wirbel, den ich kategorisch ablehne. Es ist eigentlich indiskutabel zu bewirten, denn das wird der Kunst und Kultur nicht gerecht.“ Schöpf glaubt, dass sich eine Bewirtung aus finanzieller Hinsicht nicht rechnet. „So viel kann der Konzertbesucher gar nicht trinken, damit sich das lohnt“. Er schätzt, dass bei einer Tischbestuhlung etwa ein Viertel weniger Plätze für die Zuhörer zur Verfügung stünden als bei Stuhlreihen.
Keine Einbußen bei der Konzertbestuhlung
Diese Erfahrung kann ein Vorstand eines anderen bayerischen Musikvereins nicht teilen: „Wir haben vor vielen Jahren mal zum Test erst Tischreihen aufgestellt und gleich danach Stuhlreihen und jeweils die Plätze gezählt. Überraschenderweise passten mit Tischreihen mehr Plätze in den Saal. Deshalb hatten wir es damals erst mal bei Tischreihen mit Bewirtung gelassen.“ Seit vergangenem Jahr setzten sich bei diesem Verein doch die Stuhlreihen durch – nach viel Widerstand von Musikern und Zuhörern. Aber der Konflikt endete für die Musik positiv. „Die meisten Musiker sind vom neuen Konzept jetzt doch begeistert. Es ist viel ruhiger und die Leute konzentrieren sich mehr auf die Musik“. Umsatzeinbußen hätte der Verein kaum, denn in der Pause werden im Foyer Getränke angeboten. Ganz wie in den Konzertsälen der großen Sinfonieorchester.
Bewirtung im Konzert: Seit dem 17. Jahrhundert
Die akustischen Freuden standen schon lange im Einklang mit den kulinarischen Freuden. Und die Bestuhlung überließ man irgendwann auch nicht mehr dem Zufall. Als die ältesten Konzerte im weit umfassenden Sinne gelten die von John Banister. Der Musiklehrer des englischen Hofes veranstaltete ab 1672 in seinem Londoner Haus öffentliche Musikveranstaltungen. Allerdings berichtete der englische Musikschriftsteller Roger North schon einige Jahre vorher von „publick consorts“. Ein Musiker gab auf einer Orgel in Gasthäusern Konzerte und die Zuhörer tranken und rauchten dabei. Diese Tradition setzte sich fort.
Rauchen, Kaffeetrinken, Kartenspielen
Bis in das spätere 18. Jahrhundert waren Kaffeetrinken, Rauchen, Karten- und Billardspielen typische Randerscheinungen des höfischen und häuslichen Konzertwesens und bei frühen öffentlichen Konzerten. Viele Räumlichkeiten, in denen Konzerte veranstaltet wurden, verleiteten gerade zum leiblichen Wohl. Ideen für einen richtigen Konzertsaal gab es allerdings schon früh.
Der erste Konzertsaal mit Konzertbestuhlung
Da ihn der Lärm in den Gasthäusern während der Konzerte sehr störte, veröffentlichte der englische Komponist Thomas Mace 1676 einen ersten Plan für einen Musiksaal. Dort sah er die strikte Trennung von Musizierenden und Publikum vor und rechnete mit maximal 200 Zuhörern. Gebaut wurde dieser Saal nie. Erst 72 Jahre später eröffnete in Oxford der erste Konzertsaal und ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden Konzertstätten in Europa, in denen mehrere tausend Musikliebhaber, meist auf harten Holzbänken, Platz fanden.
Die Richtlinien für die Bestuhlung
Früh erlangten dadurch die Menschen auch ein Bewusstsein für die Gefahren und Risiken einer großen Menschenmenge in einem kleinen Raum, was die 1879 in Deutschland erlassene „Ortspolizeiliche Vorschrift über die Feuerpolizei in Theatern“ zeigt. Heute gibt es in Deutschland dafür die Versammlungsstättenverordnung, die unter anderem vorgibt, welche Kriterien eine Bestuhlung, egal ob Tisch- oder Stuhlreihen, einhalten muss.
Konzert: Musik lauschen
An Konzerte im Saal, die allein dazu da waren, der Musik zu lauschen oder wie es Heinrich Christoph Koch in seinem Musikalischen Lexikon von 1802 definiert („eine vollstimmige Musik […] die man für das Publikum veranstaltet, so daß jeder Liebhaber, der Kunst mit gleichem Rechte, gegen Erlegung eines bestimmten Einlaß-Geldes, daran Antheil nehmen kann, und die von einer sich dazu besonders vereinigten Gesellschaft Tonkünstler oder Dilettanten aufgeführet wird.“), war im Laienblasmusikwesen vor 1945 undenkbar.
Konzerte von Musikvereine: Erst seit dem Wirtschaftswunder
Blaskapellen, die sich gegen Mitte des 19. Jahrhunderts aus der Militärmusik und den Landwehrkapellen bildeten, hatten eine dienende Funktion. Sie umrahmten Tanzveranstaltungen, Prozessionen, Hochzeiten oder Beerdigungen. Erst in der Zeit des deutschen Wirtschaftswunders begannen die Blaskapellen ihr Können auf Konzerten zu präsentieren. Damals war es auf dem Land durchaus üblich, dem Publikum Speisen und Getränke zu servieren. In den letzten Jahren, so zeigt die Tendenz, gehen die Musikvereine indes immer mehr zur reinen Konzertbestuhlung über.
Welche Konzertbestuhlung die Zuhörer wollen
Das entspricht auch dem Wunsch des Publikums, wie eine Studie des BDMV aus dem Jahr 2005 zeigt, in der 2500 Blasmusikkonzertbesucher nach ihren Wünschen, Erwartungen und Motiven befragt wurden. 63,9 Prozent sprachen sich für eine klassische Konzertbestuhlung aus, die Beinfreiheit, gute Sicht und bequeme Stühle bietet.
Von Dirigenten bevorzugte Konzertbestuhlung: Stuhlreihen
Stuhlreihen ziehen ferner die meisten Dirigenten vor. Bei Konzerten mit Bewirtung fühle man sich nicht ernst genommen, so die Aussage eines Orchesterchefs. „Das Schlimmste finde ich, wenn dann noch Geräusche des Personals und der Küche dazukommen. Denn da ist oft gar kein Verständnis da, auf die Musik Rücksicht zu nehmen und es steht nur der Kommerz im Vordergrund.“ Die befragten Dirigenten vermeiden es auf Konzerte zu gehen, bei denen sie selbst Gast sind und wo während des Musikvortrages bewirtet wird. Alois Schöpf boykottiert diese Konzerte ebenso. Er ist allerdings der Meinung: „Wenn man schon auf einem Konzert bewirtet, dann soll man bitte was Gutes anbieten und keinen Ramsch. Ein gutes Bier, einen hochwertigen Wein und ein gescheites Schnitzel.“
Richtlinien für die Konzertbestuhlung
Die deutsche Bauministerkonferenz (ARGEBAU) erstellte im Jahr 2002 eine Muster-Versammlungsstättenverordnung, die viele Bundesländer bald eins zu eins übernahmen. Die Verordnung, die knapp 50 Paragraphen umfasst, setzt sich im zehnten Paragraphen mit der Konzertbestuhlung auseinander. Dort heißt es, dass vorübergehend aufgestellte Stühle in den einzelnen Reihen fest miteinander verbunden sein müssen. Die Sitzplätze sind laut der Verordnung mindestens 50 Zentimeter und die Durchgangsbreiten mindestens 40 Zentimeter breit. Die Blöcke umfassen höchstens 30 Sitzplatzreihen und die Gänge dazwischen und dahinter sind mindestens 1,20 Meter breit und führen direkt zum Ausgang. Wichtig für Musikvereine, die im Konzert bewirten, ist der sechste Satz des Paragraphen. Hier heißt es, der Abstand zwischen den Tischen müsse mindestens 1,50 Meter groß sein und jeder Tischplatz sei höchstens zehn Meter vom nächsten Gang entfernt.
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