Im Juli 2017 begleitete ich das Landesblasorchester Baden-Württemberg zum WMC nach Kerkrade. Ich schrieb damals zwei Texte darüber. Im folgenden lest ihr meine Erfahrungen während der finalen Probephase im rheinland-pfälzischen Prüm. Und hier lest ihr die Gänsehautmomente während des eigenlichen Wettbewerbs.
Beim Landesblasorchester ist der Weg das Ziel
Wir-Gefühl, Fleiß, Disziplin und die Liebe zur musikalischen Entwicklung bei allen Musikern führten zum Erfolg. Beim WMC (World Music Contest) 2017 im niederländischen Kerkrade erreichte das Landesblasorchester Baden-Württemberg den Titel des Vize-Weltmeisters in der Konzertklasse mit 96 Punkten. Kein anderes deutsches Orchester zuvor hatte in der Geschichte des WMC jemals so eine hohe Punktzahl in dieser Stufe erspielt.
Rechteckige selbstklebende Zettel. Zerknüllt. Auf einem Haufen. Das ist das Ergebnis von drei Tagen Arbeit, in denen jeweils bis zu zwölf Stunden geprobt wurde. Arbeit, nachdem das Programm schon vier mal erfolgreich aufgeführt worden war. Auf den Zetteln stehen Notizen wie: „Ab hier nie zusammen“ oder „Synkopische Bewegung ist zu schnell“. Es sind die geheimen Aufzeichnungen des Landesblasorchester-Dirigenten Björn Bus. Ursprünglich pappten die Zettel in seinen Partituren.
Auftritt in der „Concert Divison“
Schon Wochen und Monate zuvor bereitete sich das Orchester mit Probephasen und einer CD-Aufnahme auf die Teilnahme in der „Concert Division“ beim WorldMusicContest in Kerkrade vor. Auf Grund der geänderten Teilnahmebedingungen in der „Concert Division“ liefen die Ausarbeitungen der Dramarturgie schon seit über einem Jahr. Ende Mai und Anfang Juli 2017 führte das Landesblasorchester Baden-Württemberg sein Teilnahmeprogramm in insgesamt vier Konzerten vor Publikum auf.
Landesblasorchester arbeitet hart
Aber das LBO und Björn Bus ruhten sich nicht auf ihren Lorbeeren aus und verschwendeten keinen Gedanken an das Wort „Läuft“ oder „Passt schon“.Und dann schlichen sie daher – die kleinen gelben Zettel. Einer nach dem anderen. Eine Armada kleiner gelber Kämpfer gegen Ungenauigkeiten. Nach den Konzerten hatte sich Björn Bus hingesetzt, hörte sich die Aufnahmen der Konzerte an und analysierte jeden kleinsten Ausrutscher. Die notierte er auf die Zettel und klebte sie an die entsprechenden Stellen. Und nun liegen sie hier, am Sonntagmorgen, kurz vor Abfahrt gen Kerkrade, auf einem Haufen. Sie werden nicht mehr gebraucht. Jeder Fehler, der in den drei Tagen in der Prünner Jugendherberge ausgemerzt wurde, liegt nun auf dem Zettelfriedhof.
Landesblasorchester: Eine Familie
36 Stunden Probe vor dem Wettbewerb, obwohl es in Amateurmusikerohren schon wahnsinnig perfekt klingt. Wer macht so was? Und dann noch mit so einer äußersten Disziplin? Die Antwort: Die Musiker des LBO. Keiner meckert während der drei Tage, dass es ihm zu viel wird. Fagottistin Bernadette Glöckler fasst ihre LBO – und Arbeitsfaszination so zusammen: „Wir sind nicht nur ein Orchester. Wir sind eine Familie. Jeder nimmt diesen enormen Zeitaufwand auf sich, weil wir es gerne tun. Das Orchester gibt einem so viel, man lernt so viel, man nimmt so viel mit. Und diese enorme Qualität geben wir Musiker dann in unseren Heimatregionen weiter. Es ist sozusagen das Streuen von Qualität.“
Dirigent des Landesblasorchester: Björn Bus
Während man als Zuschauer nach den ersten zwölf Stunden vor Müdigkeit fast vom Stuhl kippte, herrschte innerhalb des Orchesters eine ruhige, angespannte Erwartungshaltung an den zielführenden und selbstbewussten Dirigenten, der genau weiß was er will und nicht mit Kritik sparte. „Der Schluss ist zu laut. Wenn ihr das so in der Rodahal spielt, gibt es von der Jury einen dicken Strich durch die Partitur.“ Ein wichtiges Detail für Björn Bus sind Nebengeräusche. Die mag er gar nicht. „Das Gefühl festhalten, gehört zur Dramaturgie. Blättert auf keinen Fall zu früh, das macht alles kaputt.“ Später, bei einem Probedurchlauf, blättert ein Musiker aus Versehen zu früh. Als Zuhörer ist man da schon so gefangen in der Musik, dass einem dabei fast das Herz stehen bleibt.
Landesblasorchester in Kerkrade
Zwei Tage später wird das nicht passieren. Alle sind mittlerweile in Kerkrade vor der Rodahal angekommen. Die Orchestermitglieder haben die 140 Kilometer Distanz zwischen Prüm und Kerkrade entweder mit dem Bus oder dem eigenen Auto überwunden. Die Prümer Jugendherberge in der Eifel wurde deshalb als Vorbereitungsort auserkoren, da sie sich mit der integrierten Mehrzweckhalle extrem gut als Probeort für große Orchester eignet. In Kerkrade sind für die Orchester sind Umkleidecontainer aufgebaut. Manche sitzen einfach nur da und entspannen, andere begrüßen ihre Familien, die extra gekommen sind. Spannung liegt in der Luft. Man spricht über die Vorträge der anderen Orchester in der „Concert Division“. Die Musiker des LBOs selbst konnten wegen der räumlichen Distanz zuvor keinen anderen Vorträgen lauschen. Sie analysieren aber die Erzählungen anderer Zuhörer.
Im selben Geiste atmen
Aber: Zu keiner Zeit ist da ein Konkurrenzdenken. Da ist kein „Wir müssen den Gegner ausschalten“ oder „Wir müssen unbedingt gewinnen“. Klarinettistin Alexandra Zonca fasst ihre Erwartungen so zusammen: „Am liebsten wäre mir, wir würden ein super Konzert abliefern mit tollen Emotionen, dann von der Bühne gehen und die Wertungsrichter würden vergessen, alle Orchester zu werten.“ Ihre Registerkollegin Alexandra Zinßer sieht das ähnlich: „Ich will, das wir abrufen können, was wir geprobt haben, dass wir frei spielen können und dass wir nicht mehr nachdenken müssen. Dass alle im selben Geiste atmen, spielen und im selben Geiste Gänsehaut bekommen.“
Der Weg ist das Ziel beim Landesblasorchester
Die Musiker sind sich einig: Bei einem Wettbewerb ist der Weg das Ziel. Es käme nicht auf die Punkte an, sondern auf die Vorbereitung. „Diese Entwicklung, die bei einer Wettbewerbsvorbereitung stattfindet, ist so unglaublich wertvoll. Wie es ein Orchester weiter bringt, das ist der Zugewinn an so einer Wettbewerbsvorbereitung. Jeder, der sich auf so etwas vorbereitet, hat schon gewonnen. Da müsste man eigentlich gar nicht mehr spielen“, sagt Alexandra Zinßer kurz vor ihrem Auftritt.
Für das Landesblasorchester: brandender Applaus
Spielen tun sie aber doch, die 85 Bläser, Schlagzeuger, Kontrabässe und Cellisten. Gefühlsintensiv, berührend, emotional. Mit jeder Zelle des Körpers bei der Musik. Nichts anderes zählt in diesem Moment. Am Ende tritt genau das ein, was sich alle gewünscht haben: Nach einer langen Stille gibt es keine zögerlichen Standing Ovations in der übervollen Rodahal. Nein, das Publikum springt gesammelt auf, klatscht brandenden Applaus und johlt viele Minuten lang.
Grandiose 96 Punkte
Das Landesblasorchester Baden-Württemberg hat in Kerkrade genau sein Ziel erreicht: Aus der Musik das Beste rausholen, viel von den Vorbereitungen lernen, den Zusammenhalt noch mehr stärken und starke Emotionen beim Publikum erzeugen. Die grandiosen 96 Punkte und der Titel des Vize-Weltmeisters, die das Orchester am Ende des Abends erhalten wird und eine Welle der Euphorie bei den Musikern auslöst, sind eigentlich „nur“ noch das Sahnehäubchen und der Zuckerguss obendrauf auf eine auf allen mentalen, kulturellen und sozialen Ebenen gewinnbringende Arbeitsphase.
Lest hier weiter und erfahrt mehr über den eigentlichen Wettbewerb 2017: https://vontutenundblasen.de/18-wmc-kerkrade-2017/