Vom Rundfunk-Blasorchester Leipzig zur Sächsischen Bläserphilharmonie

Die Sächsische Bläserphilharmonie ist das vierte Orchester meiner Serie „Mensch Orchester“ und in jeder Hinsicht besonders. Sie wird das einzige Orchester in meiner Serie sein, das nicht bei der Bundeswehr oder bei der Polizei angesiedelt ist, denn es ist das einzige zivile Berufsorchester meiner Serie. Noch besonderer ist die Geschichte der Sächsischen Bläserphilharmonie. Gegründet wurde das Orchester als Rundfunk-Blasorchester Leipzig in einem Staat, den es heute nicht mehr gibt. Gerade deshalb mussten die Musiker*innen viel für den Erhalt ihres Orchesters kämpfen und wurden deshalb zusammengeschweißt wie wahrscheinlich kein anderes Berufsorchester, was die familiäre Prägung innerhalb des Ensembles zeigt.

Hervorgegangen aus dem Rundfunk-Blasorchester Leipzig

Im Jahr 1948 entstand aus freischaffenden Musikern ein Orchester in Bläserbesetzung, das für den DDR-Rundfunk Unterhaltungsmusik produzierte. Hans Rüsing dirigierte und schrieb mit Musikredakteur Georg Girke die Bearbeitungen. Wöchentlich wurde eine halbstündige Livesendung produziert. Am 1. Dezember 1950 wurde das Rundfunk-Blasorchester Leipzig offiziell gegründet, Werner Krumbein leitete das Orchesters und die Musiker erhielten eine Festanstellung. Das Programm erstreckte sich über traditionelle Blasmusik zu Unterhaltungsmusik und Repertoire für Galaveranstaltungen.

Rundfunk-Blasorchester Leipzig
Festanstellung für Musiker

Die Arbeit am Rundfunk

In kürzester Zeit entstanden am Rundfunk feste Sendeplätze für das Rundfunk-Blasorchester Leipzig und damit ein großer Bedarf an vorproduzierten Stücken. Die Hauptaufgabe des Orchesters war bald, wöchentlich zehn bis 15 Titel aufzunehmen.

Rundfunk-Blasorchester

Die besondere Besetzung des Rundfunk-Blasorchester machte Spezialarrangements notwendig. Schnell fanden sich interessierte Komponisten und Arrangeure, auch aus den Reihen der Musiker und es gab regelmäßige Treffen zwischen dem Orchester und den Bearbeitern. Ihnen wurden die neuen Werke vorgestellt sowie auf Klangqualität und Eignung für das Orchester geprüft. 

Rundfunk-Blasorchester

Anschließend wählten Produzent und Chefdirigent in gemeinsamer Runde mit den Bearbeitern die neu zu produzierenden Stücke aus. Aktuelle Hörerwünsche wurden berücksichtigt und bald Livekonzerte wurden etabliert. Zum Beispiel im Leipziger Zoo.

Musik im leipziger Zoo

TV-Produktionen mit dem Rundfunk-Blasorchester Leipzig

Mit wachsender Popularität und künstlerischer Qualität des Rundfunkblasorchesters wurde das Orchester für TV-Produzenten interessant. Es folgten Engagements zu beliebten DDR-Fernsehsendungen wie „Ein Kessel Buntes“, „Da liegt Musik drin“ oder „Das kann ja heiter werden“. 

Rundfunk-Blasorchester Leipzig

Um die musikalische Bandbreite zu erweitern und die Nachfrage nach kleineren Besetzungen für verschiedene Radio- und TV-Sendungen bedienen zu können, bildeten sich zusätzliche Formationen.

Reisen des Rundfunk-Blasorchester in besonderen Zeiten

Das Rundfunk-Blasorchester Leipzig war nicht nur gern gesehener Gast in den sozialistischen „Bruderländern“ der damaligen DDR, sondern durfte trotz strenger Reiseauflagen auch international konzertieren. Auslandsauftritte in den 60er Jahren in Schweden und der Sowjetunion förderten die internationale Anerkennung des Klangkörpers. Internationale Auftritte folgten unter anderem 1975 in der BRD, 1981 in Japan und 1988 in Finnland. Die positiven Resonanzen nach den Konzertreisen überwogen die speziellen anstrengenden Vorbereitungen.

Japan Reise Rundfunk-Blasorchester

Auflösung des Rundfunk-Blasorchester Leipzig

Mit der Wiedervereinigung 1989/90 folgte ein gravierender Einschnitt in der Orchestergeschichte. Heftige Proteste löste die Idee aus, bei der Neugliederung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) das Rundfunkblasorchester Leipzig aufzulösen. Trotzdem wurde den Musikern gekündigt. Am 06.12.1991 dirigierte der damalige Chefdirigent Gerhard Baumann die letzte Rundfunkproduktion des Rundfunkblasorchester Leipzig. Die engagierten Musiker kämpften unter persönlichen Opfern weiter um den Erhalt des Orchesters.

Rundfunk-Blasorchester Leipzig

Am 14. Juni1992 fand auf dem Augustusplatz in Leipzig ein großes Protestkonzert des Rundfunkklangkörpers statt. Unterstützer wie Kurt Masur, Gunter Emmerlich und viele weitere Künstler und Moderatoren appellierten für den Erhalt. Trotz aller Bemühungen löste sich 1992 das Rundfunk-Blasorchester Leipzig auf und eine existenzbedrohende Situation folgte.

Der Überlebenskampf

Die Abkopplung vom Rundfunk und die damit verbundene Arbeitslosigkeit der Orchestermusiker mündeten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, die unter anderem eine Zusammenarbeit mit der Musik- und Kunstschule „Ottmar Gerster“ und die Aus- und Fortbildung von Laienblasorchestern beinhalteten. Trotz der widrigen Umstände hielten die Musiker zusammen, trafen sich weiter zu Proben und suchten in Eigenregie Auftrittsmöglichkeiten. Allein dieser private Zusammenhalt des Orchesters ermöglichte ein Fortbestehen des Klangkörpers.

Neuanfang 1995 beim Runfunk-Blasorchester

Eine Perspektive für das Orchesters wurde mit dem Kulturraumgesetz 1993 geschaffen. Um Fördermittel für Kultureinrichtungen beantragen zu können, musste in kürzester Zeit die „Rundfunk-Blasorchester Leipzig – Bläserakademie Sachsen GmbH/Torgau “ gegründet werden, deren Gesellschafter der orchestereigene Förderverein war. Mit dem neuen Chefdirigenten Jochen Wehner erfolgte eine musikalische Neuausrichtung vom Produktionsorchester für Unterhaltungsmusik hin zum Konzertorchester für sinfonische Bläsermusik. Mit der zusätzlichen Lehrtätigkeit in der neu gegründeten Bläserakademie Sachsen blickte das Orchester wieder hoffnungsvoll in die Zukunft.

Wenig Musik – viel Politik

Durch die Umverteilung der Fördergelder innerhalb des Kulturraumes wurde ein neues Konzept zur Finanzierung der beiden im Kulturraum ansässigen Orchester entwickelt, die 1997 trotz aller Warnungen aus dem Orchester in einer Fusion mit dem Westsächsischen Symphonieorchester (heute Leipziger Symphonieorchester) mündete. Die Zusammenlegung erbrachte weder die eingeplanten finanziellen Einsparungen noch ergab sie eine künstlerisch sinnvolle, marktfähige Orchesterformation. Neben den bedeutenden Sinfonieorchestern im Großraum Leipzig-Halle gab es weder Bedarf noch Spielstätten für ein weiteres Orchester dieser Art. Der rasant schwindenden Auftragslage und weiteren Fördermittelkürzungen folgten Entlassungen, die auf Grund von Abfindungszahlungen im Februar 2000 in die Insolvenz der „Kulturraumorchester Leipziger Raum gGmbH“ führten.

Aufatmen beim Runfunk-Blasorchester

Zum Glück konnte 2001 mit der Stadt Bad Lausick und der Bad Lausicker Bauorganisations-, Betriebs- und Kur GmbH (BBK) als neuem Gesellschafter die Bläserakademie Sachsen/Rundfunk-Blasorchester Leipzig gGmbH gegründet werden. Mit dem neuen Geschäftsführer Heiko Schulze und der Überleitung aller Musiker*innen im Januar 2002 in die neue gGmbH erhielt das Orchester seine lang ersehnte Eigenständigkeit zurück und konnte sich wieder auf seine künstlerische Arbeit konzentrieren.

Schlüsselübergabe

Die Sächsische Bläserphilharmonie

Unter den Chefdirigenten Jan Cober und Prof. Thomas Clamor profilierte sich das Orchester auf dem internationalen Musikmarkt. Die Umbenennung des Rundfunk-Blasorchester in „Sächsische Bläserphilharmonie“ (SBP) 2010 unterstrich die Weiterentwicklung zu einem sinfonischen Bläserensemble. Die Listung beim Auswärtigen Amt als Kulturbotschafter und die Aufnahme in das Bundesförderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft Deutschlands“ lassen die SBP auf dem kulturpolitischen Parkett wirken.

Orchester Leipzig

Neue Heimat in Bad Lausick – Verwurzelung in der Region

Der Neubau der Deutschen Bläserakademie wurde mit rund 1,6 Mio. Euro vom Land Sachsen sowie rund 1,5 Mio. Euro vom Landkreis Leipzig getragen. Mit der Kultur- und Bildungseinrichtung wurden die lang ersehnten Proben- und Akademieräume geschaffen, die der künstlerischen Bedeutung der Sächsischen Bläserphilharmonie und den musikpädagogischen Angeboten der Deutschen Bläserakademie gerecht werden und eine professionelle Orchesterarbeit sowie regionales Amateurmusizieren ermöglichen.

Abriss

Ursprünglich als reiner Probensaal konzipiert, finden in der Deutschen Bläserakademie seit 2012 auch Konzerte statt. Diese sind in der Region überaus beliebt und stark nachgefragt, so dass das Angebot stetig erweitert wird. Zusätzlich werden die Räumlichkeiten von verschiedenen Kultur- und Bildungseinrichtungen des Landkreises Leipzig genutzt.

Sächsische Bläserphilharmonie vor Bläserakademie

Musikvermittlung – ein Weg zur Musik

Kindern und Jugendlichen einen Zugang zur musikalischen Welt zu schaffen, war von jeher ein besonderes Anliegen der Sächsischen Bläserphilharmonie. Dafür entstanden spezielle Schulkonzertformate, die die Schüler*innen in die Konzerte einbeziehen und so ein gemeinschaftliches Konzerterlebnis schaffen. Musik erleb- und erfahrbar zu machen und Wissen bei den Konzerten zu vermitteln, steht im besonderen Focus.

Deutsche Bläserakademie

Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 – damals noch als Bläserakademie Sachsen – hat sich die Deutsche Bläserakademie zu einer musikpädagogischen Institution mit internationaler Ausstrahlung entwickelt. Musiker des Orchesters geben hier ihr Wissen und ihre Erfahrungen an die nächste Generation weiter. Berufsmusiker und ambitionierte Amateurmusiker finden ein breites Angebot an Qualifizierungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Meisterkurse, Workshops und berufsbegleitende Lehrgänge für alle Blas- und Percussions-Instrumente werden von den Orchestermusikern sowie renommierten Gastdozenten geleitet. Es bestehen europaweite Kooperationen mit Universitäten und Musikhochschulen, die Workshops in den Fächern Dirigieren, Ensembleleitung und Komposition mit der Sächsischen Bläserphilharmonie als engagiertem und professionellem Lehrgangsorchester durchführen.

Die Chefdirigenten des Rundfunk-Blasorchester Leipzig und der Sächsischen Bläserphilharmonie

Werner Krumbein (1950 – 1958)

Otto Kayser (1959 – 1969)

Gerhard Baumann (1958 – 1959; 1988 – 1991)

Edgar Brand (1972 – 1981)

Klaus Wiese (1982 – 1988)

Harald Weigel (1992 – 1994)

Jochen Wehner (1994 – 2001)

Jan Cober (2002 – 2009)

Prof. Thomas Clamor (2011 – 2020)

Peter Sommerer (seit 2021)

Fotonachweise: Alle Fotos stammen aus dem Archiv der Sächsischen Bläserphilharmonie. Für die Erlaubnis zur Abbildung bedanke ich mich sehr.

Weitere Beiträge über Berufsorchester mit Bläserhintergrund findet ihr hier gebündelt: https://vontutenundblasen.de/category/sinfonisches-blasorchester/

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