Zur Motivation der Mitgliedschaft in Vereinen: Dr. Jennifer Nowak untersuchte in ihrer Dissertation die Motive, die Menschen dazu führt, in Vereinen zu musizieren. Ich habe Jennifer Nowak interviewt, ihre Arbeit gelesen und die Ergebnisse für euch kurz und vereinfacht zusammengefasst.
Musizieren und Fußballspielen in der Freizeit. Zur Motivation der Mitgliedschaft in Vereinen.
Anschluss, Leistung und Macht: Das sind die Motive, warum wir in Vereinen musizieren. Jennifer Nowak erforschte das Warum auf der musikpsychologischen Ebene und hat das herausgefunden:
Was ist die Motivation für eine Vereinsmitgliedschaft?
Unter anderem stellt sich Jennifer Nowak in ihrer Arbeit zwei Grundfragen:
- Wie lassen sich Dimensionen der Motivation von Amateurblasmusizierenden und Amateurfußballspielenden beschreiben?
- Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sind in den Motivationsprofilen der beiden Untersuchungsgruppen auszumachen?
Einfacher formuliert: „Was motiviert all diese Menschen, über teilweise Jahrzehnte ihres Lebens dabei zu bleiben, zahlreiche damit einhergehende Pflichten zu erfüllen und auch Phasen der Unlust des Misserfolgs und der Unzufriedenheit zu überwinden, wo doch der Aufwand mit unzähligen Probestunden, Auftritten und Konzerten, Fahrzeiten und nicht zuletzt auch Kosten unverhältnismäßig hoch erscheint?“ Der Hauptgrund: Das Anschlussmotiv. Wir musizieren im Verein hauptsächlich deshalb, weil wir mit anderen Menschen zusammen sein und mit ihnen gemeinsam handeln wollen.
Männliche Musiker und Fußballspieler sind machtmotivierter
Das ist die große Gemeinsamkeit von Amateurmusik und Amateurfußball. Bei den Motiven Leistung und Macht unterscheiden sich die beiden Hobbies. Das Motiv „Macht“ ist im Fußball ausgeprägter und bezieht sich beispielsweise auf die Aspekte körperliche Fitness und Wettbewerbe. Auf die Musik herunter gebrochen, muss man hier die Geschlechter unterscheiden: Frauen sind mehr anschlussmotiviert, Männer mehr machtmotiviert.
Frauen haben demnach eher Sorge zurückgewiesen zu werden als Männer, während diese sich wiederum ihrer Sache sicher sind und keine bedeutsame ‚Angst vor Kontrollverlust‘ aufweisen.
Leistungsmotiv steigt mit dem Alter
Zum Leistungsmotiv: Für Musikvereine beobachtet die Autorin, dass das Leistungsmotiv weniger ausgeprägt ist, aber mit dem Alter steigt. Das Bedürfnis nach Anschluss verliere im Laufe des Lebens an Bedeutung, während gleichzeitig die Bedeutung des Leistungsmotivs, genauer die „Furcht vor Misserfolg“ ansteige.
Schlüssel: Die gemeinsame Tätigkeit
Warum Musikverein, wenn man auch ohne ein Instrument, mit anderen Menschen zusammen sein kann? Die gemeinsame Tätigkeit ist der Schlüssel. Hierzu schlägt Jennifer Nowak weitere Forschungen vor:
Der Mehrwert des Musizierens im Verein gegenüber anderen Tätigkeiten wie zum Beispiel der Besuch eines Stammtischs […] ist vermutlich über das Merkmal gemeinsamer zielgerichteter Handlungen zu erklären. Dementsprechend wirkt das Erleben, Teil einer Gruppe zu sein, die durch gemeinsames Handeln ein gemeinsames Ergebnis hervorbringt, als motivationaler Multiplikator und Tätigkeitsanreiz, was noch genauer zu prüfen wäre.
Wie hat Jennifer Nowak die Motive erforscht
Für ihre Arbeit wählte Jennifer Nowak mehrere Forschungsinstrumente aus der Psychologie: das „Leisure Motivations Scale“ (LMS), das „Multi-Motiv-Gitter“ (MMG), „Dimension von Motivation und Involvement“, das „Neo-FFI“ und das „Übeflow-Inventar“. Daraus entwarf Jennifer Nowak einen Fragebogen, den sie an Amateurmusikerinnen und -musiker des Hessischen Musikverbandes (HMV), in dem rund 370 Musikvereine organisiert sind, und an Fußballerinnen und Fußballer des Hessischen Fußballverbandes als Link schickte.
Was sind Amateurmusiker?
Davor musste sie, wie in Forschungsarbeiten üblich, Begriffe definieren, so auch den des „Amateurmusikers“. Er kennt in der musikwissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Erklärungen. Jennifer Nowak vergleicht sie miteinander und kommt zum Ergebnis:
In Anlehnung […] wird […] als Amateurmusikerin bzw. -musiker verstanden, wer in erster Linie handlungsorientiert musiziert, psychologische Grundbedürfnisse befriedigt und eine positive Emotion in Form von Spaß aus diesem Prozess selbst gewinnt und seine Motivation vornehmlich aus der Tätigkeit selbst gewinnt.
Wo hat Jennifer Nowak die Motivation erforscht
An der Justus-Liebig-Universität in Gießen liegt der Schwerpunkt auf der systematischen Musikwissenschaft, in die die Musikpsychologie eingegliedert ist. Bei ihrer Dissertation konnte Jennifer Nowak ihre eigene musikalische Vorliebe und ihren akademischen Werdegang verknüpfen. Das Thema war schnell klar, denn schon in ihrer Bachelor- und ihrer Masterarbeit beschäftigte sich Jennifer Nowak mit der Motivation. Ihre Doktormutter, Prof. Dr. Claudia Bullerjahn, zeigte sich offen. Diese schreibt im Vorwort:
Die vorliegende Veröffentlichung wendet sich gleich zwei Forschungsgebieten zu, die im Fach Musikwissenschaft bisher eher stiefmütterlich behandelt wurden: zum einen dem ‚Amateurmusiker‘ und zum anderen der ‚Motivationspsychologie des Musizierens‘.
Warum sind Forschungsarbeiten über Musikvereine noch selten?
Dass nicht nur Amateurmusik, sondern insbesondere Amateurblasmusik, in der Vergangenheit in der Wissenschaft wenig Beachtung fanden, greift Jennifer in ihrer rund 250-Seiten langen Arbeit mehrfach auf. Sie schreibt unter anderem:
Sozialpsychologische Arbeiten zum Musizieren sind rar, und Gruppenforschung im Speziellen wurde bisher vor allem im Bereich der Kunstmusik oder dem Orchester als Arbeitsplatz professioneller Musikerinnen und Musiker betrieben.
Akademikerkinder vs. Arbeiterkinder
Warum das so ist? Jennifer Nowak und andere Wissenschaftler nehmen an, dass in der Vergangenheit mehr Menschen aus Akademikerfamilien studiert haben, die musikalisch mehr in der Kunstmusik sozialisiert wurden und weniger in Musikvereinen. Dadurch gibt es wenige Berührungspunkte und Identifikation zur und mit Blasmusik.
Wissenschaftler, welche aus einer Arbeiterfamilie kommen, in einem Blasorchester musikalisch sozialisiert wurden und abschließend die Qualifikation zur wissenschaftlichen Forschung erlangt haben, werden wohl erst zukünftig zu einer gesunden Mischung der Forschungsschwerpunkte in der Musikwissenschaft verhelfen können.
Weitere Ergebnisse, die bei dieser Forschungsarbeit ans Licht kamen
Aus den 337 zurückgekehrten Fragebögen gewann Jennifer Nowak interessante Einzelheiten, die in die Beantwortung der Forschungsragen einflossen. Einige dieser interessanten „Facts“: Das Durchschnittsalter der Musikvereinsmitglieder, die bei der Studie mitgemacht haben und auf Grund der Menge einen Querschnitt für Musikvereine insgesamt bilden: 41 Jahre. Zur Altersgruppe 26 bis 40 Jahre zählen doppelt so viele Männer wie Frauen. Über 40 Jahre nahmen drei Mal so viele Männer wie Frauen teil. Die gesamte Geschlechterverteilung unter der Musizierenden-Teilstichprobe ist fast ausgeglichen.
Männer: Blech, Frauen: Holz
Innerhalb der Instrumentengruppen zeigt sich ein kaum überraschendes Ergebnis: Bei den Blechblasinstrumenten überwiegen die Männer, bei Holzblasinstrumenten die Frauen. 92,5 Prozent der Vereine proben einmal die Woche und über die Hälfte der Mitglieder übt neben dem Musizieren ein weiteres Ehrenamt im Verein aus. Dabei übernehmen zum Beispiel das Amt des Jugendleiters mehr Frauen und das Amt des Vereinsvorsitzenden mehr Männer. Rund 43 Prozent der Musizierenden absolvieren bis zu 19 öffentliche Auftritte im Jahr, während sich rund ein Viertel bis zu 30 Mal vor Publikum präsentiert.
Die Forschung zur Motivation für die Praxis und Zukunft
Im Kapitel „Konsequenzen für die Praxis“ spricht die Autorin das Problem des Mitgliederweggangs und der Nachwuchsgewinnung an, wobei bei letzterem oft Kinder und Jugendliche im Fokus stehen. Hier sollten ihrer Meinung auch Erwachsene berücksichtigt werden, die schon immer ein Instrument spielen wollten und noch nicht angefangen haben. Sie appelliert darüber hinaus:
Die tragenden Säulen des Vereins mit ihren offensichtlich von den Bedürfnissen der jüngeren Mitglieder abweichenden Belangen dürfen nicht vernachlässigt werden.
Offene Gespräche und der Vergleich der Motive seien wichtig sowie die offene Anerkennung der Zusatzfunktionen. Um die Mitglieder eines Musikvereins dauerhaft zu motivieren, sollten Anreize geschaffen werden, die im Optimalfall alle drei Motive (Leistung, Anschluss, Macht) ausgeglichen ansprechen. Jede einzelne Motivation sollte dabei wertfrei wahrgenommen und gewichtet werden.
Die Vereinsmitglieder müssen sich kompromissbereit zeigen, denn die anschlussmotivierten Mitglieder haben nicht weniger Freude an der Probe als die leistungsmotivierten. Das muss man sich immer wieder bewusstmachen und darauf hinweisen. Oft ist es schwierig, wenn der Dirigent leistungs- und die Gruppe anschlussmotiviert ist. Das muss man thematisieren.
Motivation und Pandemie
Die Doktorarbeit entstand vor Beginn der Pandemie. „Ein Großteil der Musiker geht zur Probe, um in der Gemeinschaft zu sein. Die Pandemie hat den Nährboden für diese Motivation entzogen. Es war sehr schwer für die Leute, für die das Anschlussmotiv die Hauptrolle spielt,“ sagt Jennifer Nowak. Gerade eben hat sie einen Aufsatz darüber fertiggestellt, wie man das Ergebnis mit der jetzigen Situation verknüpfen kann.
Über Jennifer Nowak
Jennifer Nowak wurde 1988 geboren, spielt Flügelhorn, war seit ihrer frühen Kindheit Mitglied in mehreren Musikvereinen, gibt Musikunterricht und spielt in der kleinen Blasmusikbesetzung „Die Egerländer Maderln“. (Den Blogbeitrag über diese Formation findet ihr hier). Sie studierte im Bachelor Musikpädagogik und im Master Angewandte Musikwissenschaft. „Die Motivationsforschung hat einen persönlichen roten Faden bei mir“, erzählt sie mir. Schon der Titel ihrer Bachelorarbeit lautete „Motivation im Instrumentalunterricht“ und in ihrer Masterarbeit prüfte sie die „Motivation bei musikbasierten Computerspielen“. Also, warum Leute Singstar oder Guitar Hero spielen.
Jennifer Nowak ist Spezialistin für das „Warum“ und das führte sie letztendlich zu ihrem Doktortitel. „Die Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin, die mit einer Dissertation verbunden war, kam auf mich zu“, erzählt sie. „Ich dachte mir, wenn promovieren, dann jetzt direkt nach dem Studium. Denn es kostet viel Energie, später wieder hineinzufinden.“
Während der Promotion besetzte sie eine halbe Stelle an der Uni, unterrichtete Instrumentalschüler und war außerdem freie Mitarbeiterin beim Musikverlag Schott Music, wo sie musikpädagogische Bücher lektorierte, eng mit den Autoren im Kontakt stand und den Herstellungsprozess begleitete und organisierte.
Jennifer Nowak schloss ihre Doktorarbeit 2019 ab und ist seitdem voll selbständig. Zum einen als Musikerin, Dirigentin und Ausbilderin, zum anderen führt sie eine Naturheilpraxis für Tiere. Mit ihnen arbeitet sie ebenso mit Klängen und Schwingungen, denn: „Es ist die Sprache des Herzens“.