Richard Wagner und Giuseppe Verdi waren 2013 in aller Munde. Aber nicht nur die beiden Komponisten feierten damals einen runden Geburtstag. Ihr Kollege, Johann Simon Mayr, der im heutigen Landkreis Eichstätt geboren wurde und 2013 seinen 250. Geburtstag feierte, gerät gern in den Hintergrund und wurde zeitweilen von der Musikwelt fast vergessen. Zu Unrecht. Zu seinem Geburtstag schrieb ich einen Beitrag in der Clarino über ihn und ging dabei auf die Bläserwerke des Opernkomponisten ein.
Der Vater der italienischen Oper kommt aus Bayern. Wer hätte am 14. Juni 1763 in Mendorf nahe Altmannstein in Bayern gedacht, dass dieser Tag als Sternstunde der Musik in die Geschichte eingeht. Als Sohn eines Organisten wurde Johann Simon Mayr an diesem Tag geboren. Schon früh durfte der kleine Simon an Vaters Cembalo und an der örtlichen Kirchenorgel musizieren. Ab 1769 besuchte der Bub die Schule in Kloster Weltenburg, wo die Musik eine hervorgehobene Bedeutung besaß. Später ging Simon Mayr auf das von Jesuiten geleitete Gymnasium in Ingolstadt, wo er sich 1777 an der Bayerischen Landesuniversität immatrikulierte und Fächer wie Jura und Philosophie studierte. Schon während dieser Zeit galt seine Liebe der Musik und er brachte sich vielfältig in das Ingolstädter Musikleben ein. Auch seine erste Komposition, Lieder mit Klavierbegleitung, entstand dort.
Illuminatenorden spielte große Rolle
In Thomas Franz Maria Freiherr de Bassus (1742-1815) von Schloss Sandersdorf, das ebenfalls unweit von Altmannstein liegt, fand Simon Mayr einen Freund und Förderer. Als der Illuminatenorden, dessen Mitglied Bassus war, verboten wurde, gelangte Mayr mit seinem Förderer nach Poschiavo in der Schweiz. Von dort aus reiste Simon Mayr 1789 zum ersten Mal nach Bergamo in Italien und studierte Musik. Das befriedigte ihn nicht und bevor er nach Ingolstadt zurück kehren konnte, wurde er von Ferdinando Bertoni überredet, in Italien zu bleiben und bei ihm ihn Venedig zu studieren.
Mayr unterrichtete zudem am dortigen Mädchenkonservatorium. Seine ersten Erfolge erzielte Mayr mit Oratorien, die er unentgeltlich für dieses Institut komponierte. Schließlich folgte ab 1794 eine steile Opernkarriere mit der ersten Oper „Saffo“. Über sich selber sagte er damals: „Mit 31 Jahren, in einem Alter, in dem sozusagen das Feuer der Phantasie seinen Höhepunkt überschritten hat, sah ich mich den anderen jüngeren Meistern wie Paër oder Nasolini gegenüber, welche bereits zum wiederholten Male auf den Theatern von Venedig verschiedene Werke aufgeführt hatten, während ich noch immer in den Anfängen meiner Studien steckte.“
Große Erfolge in dieser Zeit waren die Opern „Lodoiska“ und „Ginevra di Scozia“. Allerdings musste er private Tragödien einstecken. Ehefrau und frischgeborener Sohn starben im Jahr 1797 kurz hintereinander.
Mayrs Schüler: Gaetano Donizetti
1801 nahm Simon Mayr, der sich nun italienisch Giovanni Simone Mayr nannte, die Stelle als Kapellmeister in Bergamo an, wo eine großartige Schaffensperiode begann. Er wurde weltberühmt. Viele europäische Städte warben um ihn als Kapellmeister. Sogar Napoleon wollte ihn als Direktor für die Oper in Paris gewinnen. Er lehnte ab und blieb in Bergamo. Dort gründete er 1805 eine Musikschule, in der mittellose Talente Musikunterricht erhielten. Berühmtester Schüler: Gaetano Donizetti, dessen Arie „Una furtiva lagrima“ aus der Oper „L’elisir d’amore“ auch für Nicht-Opernliebhaber ein bekannter Ohrwurm ist. Nicht nur deswegen wird „Papa Mayr“ von Kennern „Vater der italienischen Oper“ genannt. Er gilt als Brückenbauer zwischen Klassik und Romantik und Gioachino Rossini wird oft als sein „musikalischer Haupterbe“ bezeichnet.
Am 2. Dezember 1845 starb Johann Simon Mayr in Bergamo, nicht ohne etwa 60 Opern und über 600 Kirchenmusik- und Kammermusikwerke zu hinterlassen. Noch zu Lebzeiten pflegte er vielfältige Kontakte mit anderen berühmten Komponisten seiner Zeit und die Witwe von Wolfgang Amadeus Mozart, Constanze, wollte ihren Sohn zu Mayr in Ausbildung schicken. Auch Johann Wolfgang von Goethe war fasziniert von Mayrs Opern.
Mayr gerät wegen politischer Umbrüche in Vergessenheit
Das alles verhinderte nicht, dass Mayr kurz nach seinem Tod langsam in Vergessenheit geriet. Die Forschung vermutet dahinter mehrere Gründe. Er stand zwischen zwei Nationen – Italien und Deutschland. Für die Italiener war er ein Deutscher, für die Deutschen ein Italiener. Zumal steckten gerade diese beiden Nationen in politischen Umbrüchen, bei der beide ihre nationale Identität definierten. Eine Theorie: Hätte er damals das Angebot von Napoleon angenommen, wäre ihm dieses „Schicksal der Vergessenheit“ vielleicht erspart geblieben.
Gegen das Vergessen kämpfen heute einige Institutionen an. Einige Musikwissenschaftler beschäftigten sich mit dem deutsch-italienischen Komponisten schon in den 1960er Jahren. Die Forschung ist in der 2007 gegründeten Simon-Mayr-Forschungsstelle verankert. 1992 wurde in Altmannstein der Freundeskreis der Musik von Johann Simon Mayr gegründet.
Internationale Simon-Mayr-Gesellschaft
Drei Jahre später entstand die Internationale Simon-Mayr-Gesellschaft. Ihr Ziel ist es, Johann Simon Mayr einer breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen und fördert und initiiert darum Aufführungen seiner musikalischen Werke und pflegt den Austausch zu Bergamo und Altmannstein. In den letzten Jahren kam es dadurch zu Aufführungen von Mayr-Opern unter anderem in der Bayerischen Staatsoper, Braunschweig, Hamburg und in der Schweiz.
Johann Simon
Mayr und die Harmoniemusik
Johann Simon Mayrs großes Talent lag im Schaffen von Opern. Bläserwerke sind rar. Im RISM (Répertoire International des Sources Musical), das weltweit 700.000 überlieferte Musikhandschriften verzeichnet, sind über 2000 Kompositionen von Johann Simon Mayr belegt – davon sind nur rund ein Dutzend Bläserkonzerte oder Harmoniemusiken.
Der Fagottist Clemens Schlemmer führte im Herbst 2013 in Ingolstadt mit seinem Ensemble „Harmonische Schlemmerey“ zwei Bläser-Sextette (zwei Klarinetten, ein Bassetthorn, ein Fagott und zwei Hörner) von Johann Simon Mayr auf. Im damaligen Gespräch zeigte er sich fasziniert von Mayrs Klangfarben – in einem der beiden Sextette legt der Komponist ganz deutlich Wert auf das Bassetthorn. „Mayr hat für sehr spannende und eigenwillige Besetzungen komponiert.“ Schlemmers Fazit spiegelt sich in den Fundstücken des RISM wieder. Da sind zum Beispiel Holzbläserquintette mit Trompete erweitert, ein Septett in g-moll für zwei Oboen, zwei Klarinetten und drei Hörner, ein Nonett für Piccolo-Flöte, Piccolo-Klarinette (womit wahrscheinlich die D-Klarinette gemeint ist), zwei Kontrafagotte, drei Posaunen, Serpent und große Trommel oder die zwölf Bagatellen für Flöte, Klarinette und Bassetthorn.
Konzert für Fagott
An Bläserkonzerten findet sich ein Fagottkonzert und ein Konzert für zwei Oboen – wobei die Stimme der ersten Oboe vermisst wird. Verschollen ist ebenfalls die Bassetthornstimme bei einem Stück für Bassetthorn und Klavier.
Ein anderer Musiker, der sich mit einem ganz bestimmten Bläserwerk von Johann Simon Mayr beschäftigt hat, ist der Dirigent Gerd Schaller. Er führte Mayrs „Suite Bergamasco“ im September 2013 beim Ebracher Musiksommer auf. Der Dirigent, der dieses Festival gründete, kam zum ersten Mal mit Mayr in Berührung, als er dessen Oper „Fedra“ in Braunschweig dirigierte. „Ich kannte ihn bis dato nicht und wusste nicht, dass er so tolle Opern geschrieben hat.“
Suite Bergamasco
So stieß er auf die „Suite Bergamasco“ ein viersätziges Konzertstück in d-moll für Piccolo-Flöte, Flöte, Klarinette, Bassetthorn und Orchester aus dem Jahr 1820. Ein witzig, virtuoses Stück, das ungewöhnlich aufgebaut ist: Im ersten Satz steht die Flöte im Mittelpunkt, im zweiten Satz ist die Klarinette die Solistin, im dritten Satz kann der Klarinettist auf dem Bassethorn brillieren und der vierte Satz ist ein Thema mit Variationen, bei dem alle vier Instrumente nacheinander die Variationen ausschmücken. Gerd Schaller freut sich auf dieses exotisches Stück und findet: „Johann Simon Mayr ist ein sehr spannender Komponist, der zu Unrecht vergessen wurde.“