„Es-Klarinette! Um Gottes Willen! Das quietschige, falsch stimmende Instrument brauchen wir nicht.“ Solche Aussagen oder andere Sticheleien haben Es-Klarinettistinnen und Es-Klarinettisten alle schon gehört. Dabei ist die kleine Schwester der B-Klarinette wichtiger und geforderter als ihr Ruf es vermuten lässt. 2013 bekam eine Es-Klarinette auf der Musikmesse den Deutschen Musikinstrumentenpreis. Das war der Grund, warum ich das vorurteilbehaftete Instrument damals näher betrachtete.
Alles begann um das Jahr 1700 in Nürnberg. Instrumentenbauer Johann Christoph Denner (1655-1707) baute zu diesem Zeitpunkt Chalumeaux (sing.: Chalumeau). Ein blockflötenartiges Instrument mit einem Durchschlagzungenmundstück. Es war spezialisiert auf die tiefere Lage, hatte einen dumpf, gedeckten Ton und war im Opernrepertoire oft besetzt. Hohe Töne, also die Clarinlage, war damals noch das Privileg der Trompeten. Dann entwickelte Johann Christoph Denner ein Instrument mit einer konischen – also kegelförmigen – Bohrung und einer Überblasklappe. Die Klarinette war geboren und machte der Trompete in der hohen Lage Konkurrenz. Die Stimmung der ersten Klarinette: D . Auch die ersten Klarinettenkonzerte von Johann Melchior Molter (1696-1765) waren für die D-Klarinette komponiert. Schon bald gab es Klarinetten in weiteren Stimmungen.
Kleine Schwester: D-Klarinette
„Der gängigste Satz in der Oper waren Klarinetten in A, B, C, H und D“, verriert mir damals (2013) Heike Fricke. Sie ist Musikwissenschaftlerin und 2004 brachte sie den Katalog „Faszination Klarinette“ zur gleichnamigen Ausstellung im Musikinstrumenten-Museum des SIMPK (Staatlichen Instituts für Musikforschung Stiftung Preußischer Kulturbesitz) mit heraus. „Man brauchte so viele, denn die Klarinette hatte nur fünf Klappen und man konnte nur eine begrenzte Anzahl an Tonarten spielen.“ Als später Klarinetten mit mehr Klappen konstruiert wurden, verschwand die Vielfalt. Übrig blieben einige wenige wie A und B-Klarinette, um die Klangcharaktere zu erhalten. Die Es-Klarinette fehlt in den frühen Aufzählungen zunächst. Für den hohen, schrillen Klang war die D-Klarinette zuständig. „Das hat mit der Umgebung zu tun. Die Streichinstrumente sind in C gestimmt. Da musste sich die Klarinette anpassen.“ Es-Klarinette passte auf Grund ihrer Stimmung nicht zu den anderen Instrumenten im Streichorchester.
Ein typisches Instrument der Blasmusik
Ihre große Stunde schlug Mitte des 18. Jahrhundert. Wann genau, kann niemand so richtig sagen. Fest steht, ihr Kreissaal ist die Militärmusik. Etwa um 1740 wurde sie in der französischen Armee eingeführt. „In der Blasmusik sind die meisten Instrumente in B oder Es gestimmt. Da müssen sich die Flöten und Oboen anpassen“, sagte Heike Fricke. Gerade in der bayerischen Militär- und Blasmusik machte die Es-Klarinette Karriere an der Wilhelm Legrand (1769-1845) nicht unbeteiligt war. Es war Hofmusiker bei Kurfürst Carl Theodor (1724-1799). Dieser führte eine Reform des bayerischen Heeres durch, wobei er eine staatliche Anzahl von so genannten „Musikbanden“ befahl. Als musikalischen Ausbilder setzte der Fürst 1795 Wilhelm Legrand ein. Diese Aufgabe behielt Legrand auch unter den Königen Maximilian I.(1756-1825) und Ludwig I. (1786-1868). 1811 nahm König Maximilian I. Legrands Vorschlag von einer Besetzung der Militärkapellen mit zwölf Musikern auf. Darunter vier B-Klarinetten und eine Es-Klarinette. Der Es-Klarinettist hatte die wichtigste Aufgabe im Orchester – er war der Musikmeister.
Es-Klarinette in der Armeemusik
„Die Es-Klarinette spielt in Bayern eine besondere Rolle. Ab 1826 wurde festgelegt, dass in der bayerischen Armeemusik 4 Es-Klarinetten und dagegen nur 6 B-Klarinetten besetzt sind. Ein sehr gutes Es-Klarinettenverhältnis, somit sehr klangstark und das hat sich natürlich auf die Gebrauchsmusik ausgewirkt“, erzählte mir Elmar Walter 2013. Er ist beim Bayerischen Landesverein für Heimatpflege für Volksmusik-, Volkstanz- und Volksliedpflege verantwortlich. „1839 wurde dann noch die As-Klarinette eingeführt, so dass da ein noch durchdringender Klang war. Man spielte damals sehr viel Freiluftmusik und das Blech konnte wegen der fehlenden Ventile noch nicht richtig Melodie spielen.“ Gegen Ende des 19. Jahrhundert übernahm die bayerische Armee das Instrumententableau des großen Reformers der deutschen Militärmusik, Wilhelm Wieprecht (1802-1872). „Da blieben zum Beispiel in der Infanteriemusik nur noch zwei Es-Klarinetten, eine As-Klarinette und acht B-Klarinetten übrig.“
Aber die Es-Klarinette hinterließ deutliche Spuren in Bayern. „Die Es-Klarinette war auch ein sehr dominantes Instrument in der Volksmusik beziehungsweise in der Tanzmusik. Mit ihrem durchdringenden Klang ist sie auf dem Tanzboden sehr gut durchgekommen“, erzählte mir Walter damals, der selbst Tubist ist. In der bayerischen Volksmusik sei die Es-Klarinette nicht wegzudenken. Sie habe dort die Melodiefunktion. Im Gegensatz zur böhmisch-mährischen Musik. „Da spielt sie nur teilweise die Melodie. Vielmehr brilliert sie hier mit Einwürfen, hat die Umspielungsfunktion sowie die Modifikation der Melodiephase“, sagte Elmar Walter, der selbst auch eine böhmisch-mährische Besetzung leitet. Bei „Schabernack im Zwölferpack“ hat er ebenfalls eine Es-Klarinette besetzt, die er je nach Arrangement einsetzt. „Bei manchen Stücken klingt sie einfach zu spitz.“
Nicht einfach! (Un) ersetzbar?
Sein Es-Klarinettist Matthias Probst liebt die Herausforderung. „Die Es-Klarinette ist ein führendes Instrument, man sticht heraus und es ist schwierig, die richtige Intonation zu spielen. Das ist der besondere Reiz.“ Anspruchsvoll sei zudem, den Ansatz umzustellen. In den vergangenen Jahren, schätzte Probst 2013, sei bei etwa zwei Drittel der Stücke Es-Klarinette gefragt gewesen. Solostück durfte er nur eines spielen: Den Gesang der Lerche. Zur Es-Klarinette kam Matthias Probst über seinen heimischen Musikverein in Steibis im Oberallgäu. Dort war zehn Jahre zuvor etwas Ungewöhnliches passiert. „Wir hatten keine Flöten mehr. Da meinte der Dirigent, ich solle Es-Klarinette spielen.“ Das Phänomen des Flötenmangels ist äußerst selten – was Auswirkungen auf die Es-Klarinette hat. „In vielen Musikvereinen herrscht eine Flötenschwemme“, sagte Elmar Walter. „Dadurch ist die Es-Klarinette dort in den Hintergrund gerückt. Man möchte Intonationsschwierigkeiten vermeiden.“ Ganz im Gegensatz zur Bayerischen Blasmusik im Sinne von Volks- und Tanzmusikpflege. „Da genießt das Instrument einen positiven Ruf und wird als Kampfklarinette oft eingesetzt“, sagte der Musikwissenschaftler.
Gute Ohren sind gefordert
Diesen positiven Ruf hat die Es-Klarinette nicht überall. Peter Jenal, Es-Klarinettist bei „Ernst Hutter und die Egerländer Musikanten“, kennt die Ursachen. „Man muss sich mit der Es-Klarinette mittels Gehör und auch Stimmgerät ganz genau befassen. Man muss heraus finden, wo die problematischen Stellen sind und sie dann zum Beispiel mit Abdecken der kurzen Töne bereinigen. Wie das bei der B-Klarinette eben auch ist“, erläuterte Peter Jenal 2013. Dies würde wegen Kenntnis- und Erfahrungsmangel im Laienbereich oftmals nicht ausgeübt und führt somit zum schlechteren Ruf der Es-Klarinette. „Da gibt es Entwicklungsbedarf.“ Schon unter Ernst Mosch spielte Jenal bei den Egerländer Musikanten – von 1992 bis 1996. „In dieser Zeit hatte Mosch keine Es-Klarinette besetzt, sondern fünf B-Klarinetten und keine Flöte.“ Ab 1996, in der Zeit als Jenal aus zeitlichen Gründen pausierte, besetzte Mosch wieder eine Es-Klarinette. „Mosch suchte Zeit seines Lebens nach dem absoluten Sound.“ Seit der Neuformierung im Jahr 2000 ist die Es-Klarinette ständig und bei jedem Stück besetzt. Für Peter Jenal zählen die Brillanz und die Präzision, die die Es-Klarinette dem gesamten Satz gibt.
Brillanz, Spritzigkeit und Durchsetzungsvermögen, das ist das, was auch Michael Klostermann an der Es-Klarinette im Interview 2013 schätzte. Allerdings setzte er sie differenziert ein. „Mein Es-Klarinettist spielt auch Flöte.“ Bei den Stücken mit Zweier- und Vierertakt kommt die Es-Klarinette zum Einsatz, bei Walzern lässt er seinen Musiker lieber Flöte spielen. Problematisch sah Klostermann im Interview eine gleichzeitige Besetzung von Es-Klarinette und Flöte. „Das ist von der Intonation sehr schwer. Außerdem ist es nicht effektiv. Die Es-Klarinette nimmt der Flöte ihre Wärme, im Gegenzug nimmt die Flöte der Es-Klarinette ihre Spritzigkeit,“ sagte der Orchesterleiter damals.
Zuckerl oder Essig?
Und so bleibt das Fazit: Eine hohe Klarinette ist auf Grund ihrer Historie und ihrer Klangfarbe unentbehrlich. Auch in der böhmisch-mährischen Musik – wenn sie von der Klarinettistin oder dem Klarinettisten beherrscht wird. Oder, wie es Elmar Walter es damals auf den Punkt brachte: „Wenn die Es-Klarinette in einer böhmisch-mährischen Besetzung gut gespielt wird, kann sie das Zuckerl sein. Wenn nicht, ist sie der Essig.“
Liebe Christine,
vielen Dank für diesen Artikel über mein leider oft zu unrecht belächeltes Lieblingsinstrument. Vielleicht kommt irgendwann noch ein kleiner Abschnitt über die Es-Klarinette bei der konzertanten und sinfonischen Blasmusik dazu? Und im Sinfonieorchester gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert ja auch ein paar Stellen, auf die sich jede/r Spieler/in der hohen Klarinette freut wenn sie mal auf dem Spielplan stehen.
Noch eine kleine Anmerkung: So weit ich weiß hatte auch das Chamumeau wie die Klarinette ein Mundstück mit Aufschlagzunge. Durchschlagzungen werden bei den Harmonikainstrumenten verwendet (Akkordeon, Harmonium etc.)
Und noch was zu der Bayrischen Militärmusik Reform: Kurfürst Carl Theodor kam ursprünglich aus Mannheim und hatte da schon Klarinetten an der Hofkapelle besetzt (Mozart lernte sein Lieblingsinstrument da z.B. erstmals kennen). Durch das Aussterben der bayrischen Wittelsbacher musste er dann nach München umziehen und dort seine Familienverpflichtungen erfüllen und hat seine Vorliebe für die Klarinetten einfach mitgenommen. Das musste ich als Pfälzer unbedingt noch los werden. 🙂
Bernd Gaudera
ehemaliger Es-Klarinettist des LBO Baden-Württemberg
Lieber Herr Gaudera, vielen herzlichen Dank für Ihren konstruktiven Kommentar, der mit seinem Inhalt meinen Beitrag sehr bereichert und weitere interessante Fakten für die Leser birgt. Herzliche Grüße Christine Engel