Warum auch in unserer Szene Frauen unterrepräsentiert sind. Hat etwa auch hier das Patriarchat seine Finger im Spiel?
Ich frage mich seitdem Zeitpunkt, als ich aus meiner Vollzeit-Mama-Zeit wieder aus der Versenkung aufgetaucht bin und mich schreibend mit der Bläserszene befasse, warum es in der Bläserszene so wenige sichtbare Frauen gibt.
Ich meine damit nicht die Amateurszene, denn in Musikvereinen und Amateurblasorchestern – also im Ehrenamt, im Bereich des Unbezahlten – ist der Frauenanteil sehr hoch. Ich sehe die vielen professionellen Bands, kleinen Besetzungen und Ensembles, die aus freiberuflichen Musikern (kaum Musikerinnen) bestehen und die landauf, landab auf Festivals spielen und große Vorbilder für den Bläsernachwuchs sind.
Jedes Jahr formieren sich weitere junge Ensembles – vor allem rein männliche. Es gibt vereinzelt reine Frauenensembles – gemischte aber kaum.
Meine Meinung zum Patriarchat
Es liegt an patriarchalischen Denkmuster – und das schließt die ganze Gesellschaft ein – auch Frauen. Es gibt so wenige sichtbare Musikerinnen und Komponistinnen und Dirigentinnen, wie es wenige weibliche Führungskräfte, Politikerinnen usw. in der Gesellschaft gibt.
Das liegt, bezogen auf Musikerinnen, an: weiblicher Sozialisierung, Bro-Culture, bedürfnisorientiertes männliches Handeln (männliche Sozialisierung) sowie die Sichtbarkeit bzw. die Nicht-Sichtbarkeit der Frauen und somit die fehlende Vorbildfunktion.
Weibliche Sozialisierung
Schreiben, Komponieren, das Instrument üben, um darauf besser zu werden, Musikproduktion – alles kreative Dinge, für die man Zeit und Muse braucht. Zeit, nach der auch mal nach fünf Stunden kein konkretes Ergebnis sichtbar ist, sondern man sich einfach weiterentwickelt.
Aus eigener Erfahrung und aus Beobachtung der vielen Mütter um mich herum, nehmen sich gerade Mütter diese konzentrierte Zeit und Muse nicht.
Ist irgendwas mit dem Kind, ist das Prio 1. Frau bricht alles ab und rennt. Auch wenn „frau“ es nicht müsste, weil sich in dem Moment andere kümmern. Ich glaube, das hat nichts mit dem viel zitierten „Mutterinstinkt“ zu tun. Der ist BULLSHIT. Patriarchales Instrument. Aber: Frauen werden nach wie vor mit diesem Instrument „Mutterinstinkt“ sozialisiert. So dass „frau“ (mich eingeschlossen) immer dieses nagende schlechte Gewissen hat, sobald sie in einen kreativen Schaffensprozess eintaucht und etwas familiäres ist. Dann ist die mentale Konzentration dahin. Das geht ab dem ersten Kind los. Ab da verschwinden Frauen von der Bildfläche und sind somit nicht mehr sichtbar für jüngere Frauen und können für sie keine Vorbilder mehr sein. Und die Männer? Sie suchen nicht proaktiv nach unsichtbaren Frauen.
Männern haben dieses Problem im Patriarchat nicht. Warum?
Wegen der männlichen Sozialisierung. Männer handeln viel bedürfnisorientierter. Sie machen die Dinge, die sie gerne machen. (Mucken, komponieren, Musik produzieren, auf Auftritte fahren, die Rampensau spielen). Und zwar so lange, wie sie es sich vorgenommen haben und so lange wie es zeitlich ausgemacht war (mit Partnerin oä., oder sie ignorieren Abmachungen – gibt es auch).
In unserer patriarchalen Gesellschaft werden Männern ermutigt, bedürfnisorientiert zu handeln. Zudem haben sie viele Vorbilder. Band XY, bestehend aus vier jungen Männern Anfang 20, gründen eine Band, haben Erfolg, stehen auf der Bühne, werden bejubelt – da denkt sich der 18-jährige Trompeter, Mensch, wenn die das können, bekomme ich das auch hin. Schnappt seine Kumpels und los geht’s.
Somit sind wir beim Punkt „Bro-Culture“ – wichtiges Instrument des Patriarchats
Diese „Bro-Culture“ in der Bläsermusik arbeitet NICHT aktiv GEGEN Frauen. Aber auch nicht aktiv FÜR Frauen. Ich sprach mal mit einem Herrn, der gerade seine Band gegründet hatte und die jetzt erfolgreich ist. Es fiel mir wie Schuppen von den Augen. Er erzählte mir, dass er die Idee dazu hatte und fragte Kumpel 1, Kumpel 2, Kumpel 3 und Kumpel 4. Alle sagten sofort und unkompliziert zu. Die Band stand. Auf meine Frage, ob es überhaupt keine Frau gegeben hätte, die er hätte fragen können, stockte er ein bisschen und meinte:“Hmm, achso, wenn ich länger überlege, fallen mir da schon ein paar ein. Aber meine Prio 1 Musikerkumpels waren sofort dabei.“
Männliche Musiker sind sehr vernetzt und da Frauen auf den Bühnen unsichtbar sind, fallen den Männern, die eine neue Band gründen, keine Musikerinnen auf Anhieb ein. So bleiben Frauen als Musikerinnen und Vorbilder weiter unsichtbar.
Ich höre in der Bläserszene oft das Argument: „Wir würden ja, aber wir finden keine. Wir haben schon Frau 1 und Frau 2 gefragt, aber die wollen nicht“.
Problem:
Frau 3 und Frau 4 sind aus o.g. Gründen für Männer unsichtbar und es wird nicht nach ihnen gesucht. Eine Spirale des Patriarchat, die noch nicht durchbrochen wurde.
Die auch nicht durchbrochen wird, wenn auf der Bühne nur Männer stehen, die Kompositionen von Männern spielen und Frauen unten im Zuschauerbereich stehen und nur die ROLLE DER JUBELNDEN BEWUNDERINNEN einnehmen, statt selbst auf der Bühne zu stehen.
Um auf die weibliche Sozialisierung zurück zu kommen: Ich glaube, dass Frauen oft das „Rampensau-Bedürfnis“ durch die weibliche Sozialisation abtrainiert wurde.
Weil Mädchen von kleinster Kindheit darauf trainiert werden, nett, brav, hilfsbereit und empathisch zu sein. Die eigenen Bedürfnisse nicht wichtig zu nehmen und die auferlegten Aufgaben perfekt zu erfüllen. Nicht an sich zu denken.
Deshalb tun sie sich vielleicht schwerer, sich mit ihrem Instrument auf die Bühne zu stellen und zu sagen: Hier bin ich. Jetzt blas ich euch mal ein geiles Solo um die Ohren. Und wenn ein falscher Ton dabei ist:
SCHEIß EGAL!
Was kann man tun? Ich befürchte, es ist noch ein weiter Weg. Aber das „Darauf-Aufmerksam-Machen“ ist ein wichtiges Instrument, auch wenn es ein langsames ist. Steter Tropfen höhlt den Stein.
ICH MUSS MIR SELBST AN DIE NASE FASSEN UND NOCH MEHR VON MUSIKERINNEN, KOMPONISTINNEN UND KÜNSTLERINNEN TEILEN ODER HASHTAGS DORTHIN SETZEN, WO NUR MÄNNER ZU SEHEN SIND.
Persönlich spreche ich mit vielen Männern (Musiker und Nichtmusiker) darüber und in den persönlichen Gesprächen habe ich komischerweise, aber glücklicherweise, IMMER volle MÄNNLICHE Zustimmung zum Feminismus und gegen das Patriarchat, wenn ich erkläre, wie der sich positiv auf die Gesamtgesellschaft auswirkt.
Persönliche Gespräche sind leider nicht so reichweitenstark als die mediale Präsenz.
Aber es ist nicht nur die weibliche Aufgabe, auf das Patriarchat aufmerksam zu machen und versuchen, es auszumerzen.
MÄNNER MÜSSEN AKTIV MITGESTALTEN!
Denn die Abschaffung des Patriacharts und die Stärkung des Feminismus kommen der Musik-Kultur- und der ganzen Gesellschaft zugute!
Übrigens: In Berlin gibt es ein reines Frauenblasorchester. Hier habe ich darüber geschrieben.
Zum Einstieg in den Feminismus empfehle ich die beiden Bücher von Alexandra Zykunov: „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt“ und „Was wollt ihr denn noch alles“. Hier geht es zu ihrer Website. Folgt ihr auch gerne auf Instagram.

